Leseprobe
134 Hand auf dem Rücken leget [...]«, trägt eine Jagdtasche an langem Riemen quer über der Brust und einen Hirsch- fänger aus vergoldetem Silber an der Seite. Ein großer Handschuh ist über die erhobene rechte Hand gezogen. Dieses Detail weist den Jägersmann zugleich als Falkner aus (Kat.-Nr. 61). Als einen »Mann mit einer Schürze, auf der lincken Achßel ein Serviet, die Arme aufge streifft, und wendet dem Kopff nach der lincken Seite« beschreibt das Inventar einen gut gelaunten Koch, den man auch als Chef oder Kellner einer Gastwirtschaft be- trachten kann (Kat.-Nr. 62). Diese Figuren orientieren sich in Habitus und Kleidung sehr authentisch an der Lebenswirklichkeit arbeitender Menschen. Armut und Elend mussten jedoch unsichtbar bleiben, denn nur der schöne Schein versprach Attrak- tivität. Mit kostümierten Darstellungen, wie sie bei zahl- reichen Divertissements des Dresdner Hofes üblich wa ren, haben sie nichts gemein. Denn bei den festlich auf- geführten »Wirtschaften« bei Hofe traten adlige Perso- nen als Bauern, Händler und Handwerker verkleidet auf. Ihre Kostüme waren niemals originalgetreue Imitatio- nen, sondern sie stellten jeweils paarweise als Damen und Herren verschiedene Berufsstände in kostbarer Kleidung und vor allem durch Requisiten in Form von Werkzeugen oder typischen Produkten dar. So traten beispielsweise zum Dresdner Karneval 1725 der Kurprinz Friedrich August und seine Gemahlin als Wirtsleute auf. Chef der Winzer war der Prinz von Württemberg. Dass Statuetten dieser Art an den mit Luxuswaren gut versorgten Verkaufsständen bei Festen des Dresdner Hofes angeboten wurden, scheint naheliegend, kann aber nur vermutet werden. Dessen ungeachtet entwi- ckelte August der Starke als einziger unter den fürstlichen Pretiosensammlern seiner Zeit eine ungemein starke Pas- sion für diese winzigen, zum Teil reich dekorierten Elfen beinstatuetten. Er trug eine singulär gebliebene Samm- lung zusammen, die er im Eckkabinett des Grünen Ge- wölbes präsentierte und die heute als die weltweit größte und bedeutendste gilt. Da es andernorts nichts Vergleichbares in Umfang und Qualität gibt, kann die Fertigung dieser winzigen Figuren durch unterschied liche, aber alle in Dresden tätige Künstler begründet in Betracht gezogen werden. Die Datierung lässt sich un- gefähr von 1710 bis auf das Jahr 1725 (als das Pretio- seninventar des Grünen Gewölbes erstellt wurde) sicher eingrenzen. Dunkle Edelhölzer, Verzierungen aus Gold, Diamanten und farbige Edelsteine bildeten kontrastreiche Ergänzun- gen zu diesen kleinformatigen Elfenbeinfiguren. Noch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts galten alle Versuche, Statuetten aus Elfenbein mit Farbe zu über- ziehen, zwar als innovativ, konnten jedoch nicht die gewünschten Effekte erbringen (Kat.-Nr. 31, 41, 56, 58). Erst mit der Porzellanplastik trat die Kolorierung ihren Siegeszug an. Statuetten konnten nun weit mehr natu- ralistisch nachempfunden und vor allem seriell herge- stellt werden (Kat.-Nr. 43, 48, 55, 57). Monochrome Statuetten und Büsten aus Elfenbein nehmen sich im Vergleich dazu abstrahierend aus, denn ihre ästhetische Wirkung speist sich allein aus dem gelblich schimmern- den Naturmaterial selbst. Jutta Kappel/Dresden 63 Schreiner Modell: Johann Joachim Kaendler (1706–1775) und Peter Reinicke (1715–1768) Meißen, um 1760 Meissener Porzellan, Aufglasurfarben und Gold H.: 22 cm; B.: 8 cm; T.: 9,2 cm Porzellansammlung, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Inv.-Nr. PE 548 Literatur: Berling 1900 , S. 98; Sammlung Fischer 1906 , Nr. 656 (dort bez. als »Peter der Große als Schiffszimmermann«), Nr. XXX, Taf. XLIII (andere Staffage); Pietsch 2006 , Kat.-Nr. 46.
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