Leseprobe
24 2 Der Frauenberg bei Sondershausen Sagenumwoben. Die älteste überlieferte Ansicht der in Nordthürin gen im Tal der Wipper gelegenen Stadt Sondershausen, ein Kupfer stich von 1650 aus dem Sachsen und Thüringen gewidmeten Band des topographischen Werkes von Matthäus Merian d. Ä. (Abb. 5), zeigt die Stadt von Nordosten: Aus der Bebauung ragen die Türme der Kirchen St. Trinitatis und St. Crucis auf. Über dem Ort thront, die Situ ation beherrschend, das Residenzschloss der Grafen von Schwarz burg-Sondershausen, eher ein Schloss mit einem Städtchen als eine Stadt mit einem Schloss. Diese Dimensionen charakterisieren die Ver hältnisse. Hinter dem Schlossberg liegt in etwa 2,5 Kilometer Entfer nung der Frauenberg, die auffälligste Landschaftsmarke der Region. 1 Der aus der Hainleite nach Osten vorstoßende, 411 Meter hohe Tafel berg mit seinem 15 Hektar umfassenden Plateau fällt nach Osten und Norden schroff ab, ist von Westen aus in einer stetigen Steigung und im Süden, von Sondershausen aus, über einen Hangweg zugänglich. Seinen Namen verdankt er der ehemals auf dem Plateau stehenden Kapelle »Unserer lieben Frauen«. Diese Marienkapelle wurde auf Meri ans Kupferstich ebenfalls – jedoch in ihrer Größe weit überzogen – wiedergegeben. Der ebenso sagenumwobene wie geschichtsträchtige Berg, dem sich am Südhang der Ort Jechaburg zuordnet, ist neben dem Sondershäuser Schloss die traditionsreichste historische Stätte der Region. Er fasziniert durch seine epochenübergreifende Vielschichtigkeit archäologischer, baulicher und ideeller Zeugnisse der Geschichte. Immer wieder ist die Identität stiftende Bedeutung dieses Berges beschworen worden, so auch 1924 in einem Heft des Sondershäuser Geschichts- und Alter tumsvereins: »Für uns Kinder des Wippertales ist der Frauenberg das wuchtige und doch so traute Wahrzeichen der Heimat. Seine Sagen, seine Geschichte machen ihn uns heilig.« 2 Der Überlieferung zufolge existierte auf dem Berg eine Kultstätte der heidnischen Göttin »Jecha«, die Bonifatius, der »Apostel der Deut schen«, zerstört haben soll. 3 Diese wohl erst um 1400 entstandene Überlieferung gehört nach heutigem Forschungsstand »in das Reich der Fabel.« 4 Die im 19. Jahrhundert hierzu geläufige Überlieferung be richtet, dass Bonifatius »auf dem Reitberge den Gott Reto, auf der Bielshöhe den Götzen Biel, zu Osterrode die Asterroth, zu Jechaburg die Jecha, endlich zu Schloss Lahr [Lohra] die Göttin Lara vernichtet« 5 habe. Die Frage nach dem Ursprung dieser Informationen führt zu dem jesuitischen Kirchenhistoriker Nikolaus Serarius, der 1604 in Anlehnung an eine von dem Mönch Otloh von St. Emmeram (11. Jh.) verfasste Vita des Bonifacius schrieb: »Eodem fere tempore alia confregit idola Sanc tus, Lahram [Lohra] & Iecham, a quibus hodie arx Lahra Haynensibus montanis, & Iecheburgum.« 6 Fast gleichzeitig zu Serarius hat der braunschweigische Pfarrer und Landeshistoriker Johann Letzner 1603 eine freie, aber inhaltlich stimmige Übertragung der auf Lohra und Jechaburg bezüglichen Stelle publiziert: »Ferner / hat Bonifacius im selbigen Jahr vnd auff dieser Reiß die Lahram [Göttin] / so an dem ort / da jizundt das Schloß Lahr stehet in einem sonderlichen geheuse / auf der Hohe im Hayn / gestanden vnd verehret wurden, wie auch in Jecham / da jizt Jechaburg stehet / zerstöret und zerbrochen.« 7 Wenn eine Göttin Jecha auch nicht unter den nachweisbaren heid nischen Gottheiten zu finden, sondern nur in späteren Überlieferun gen fassbar ist, dürfte es auf dem Frauenberg doch ein Heiligtum einer heidnischen Göttin gegeben haben. Zur Zeit der Christianisierung knüpfte man an Kultstätten heidnischer Göttinnen durch die Grün dung von Marienkapellen an. In einer solchen Tradition muss auch die Kapelle »Unserer lieben Frauen«, der der Frauenberg seinen Namen verdankt, gestanden haben. Der Name des am Südhang des Berges gelegenen und unmittelbar mit seiner Geschichte verbundenen Ortes Jechaburg ist auf das gotische Wort »jiukan« = »siegen« zurückgeführt worden, woraus sich die Interpretation des Ortsnamens als »Siegburg« ergibt. 8 Johannes Rothe berichtet in seiner »Düringischen Chronik« (Ende 14. Jh.), 9 der ostfränkische König Ludwig III. (auch Ludwig der Jünge re), 10 habe 878 auf dem Frauenberg eine Burg und eine Marienkirche errichtet. So naheliegend es erscheint, diesen König, der Thüringen, Sachsen und Mainfranken beherrschte, mit Jechaburg in Verbindung zu bringen, gibt es für seine Präsenz auf dem Frauenberg doch keine Belege. Zudem dürfte auf oder am Frauenberg nie eine steinerne Burg existiert haben. Allenfalls eine Nachnutzung der vorgeschichtlichen Wallanlagen, die das Plateau nach Westen abschirmten, wäre in Er wägung zu ziehen. Ob Ludwig III. auf die Marienkapelle in einer ihrer Entwicklungsphasen Einfluss genommen hat, bleibt unklar. Auch eine Überlieferung, der zufolge ein Ableger der Ungarn schlacht, die König Heinrich I. 933 bei »Riade« geschlagen hat, am Frauenberg stattgefunden habe, ist nicht definitiv zu belegen. 11 Hierfür in Anspruch genommene Stellen aus der Sächsischen Geschichte des Widukind von Corvey (um 925–nach 973) und den Pöhlder Annalen (2. Hälfte des 12. Jhs.) lassen sich nicht eindeutig auf Jechaburg bezie hen. 12 Abb. 5 Sondershausen, Kupferstich von Matthäus Merian d.Ä., 1650 (Schlossmuseum Sondershausen 0013).
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