Leseprobe

26 2 wichtigen Erwähnung des Wippertales. Die aus Sondershausen gebür­ tige und hier ansässige »Gartenlaube«-Autorin Stefanie Keyser hat sich 1893 in ihrer Erzählung »Herr Albrecht« mit Albrecht von Halber­ stadt befasst. 29 Diese amüsante Erzählung idealisiert mittelalterliche Menschen und Verhältnisse im Sinne eines volkstümelnden Historis­ mus. Landgraf Hermann I. von Thüringen Der historische Kontext, in dem Albrecht von Halberstadt lebte und wirkte, war die Landgrafschaft Thüringen, wobei den Jahren der Herr­ schaft des Landgrafen Hermann I. (um 1155–1217, reg. ab 1190) 30 beson­ dere Bedeutung zukommt. Hermann I. war der Sohn des Landgrafen Ludwig II. von Thüringen und dessen Gemahlin Jutta von Schwaben, einer Halbschwester von Kaiser Friedrich Barbarossa. Sein ältester Bruder, Landgraf Ludwig III., übergab ihm 1181 im Beisein des Kaisers die Pfalzgrafschaft Sachsen. Als Ludwig III. während des Dritten Kreuz­ zuges starb, fiel Hermann 1190 auch die Nachfolge in der Landgraf­ schaft Thüringen zu. Während seiner Regierungszeit entwickelte er diese Landgrafschaft, 31 die Pfalzgrafschaft Sachsen und seine hessi­ schen Territorien zu einem in Dimension und Wirtschaftskraft bedeu­ tenden Herrschaftsgebiet, dessen Lage mitten in Deutschland seinen Wert noch steigerte. Mit Burg Weißensee, der Neuenburg an der Un­ strut und der nahe seiner Eisenacher Hofhaltung gelegenen Wartburg baute er sich drei dominierende Herrschaftssitze aus. In dem 1197 zwischen Philipp von Schwaben aus dem Haus der Staufer und dem Welfen Otto IV. ausgebrochenen Streit um den deut­ schen Königsthron wechselte Hermann I. mehrfach die Seiten. Auf­ grund dieser Unberechenbarkeit ist er von der Geschichtsschreibung als »bedenkenloser Charakter« bewertet, 32 aber auch als »äußerst selbstbewusster Realpolitiker« 33 gewürdigt worden. 1211 unterstützte er den von Barbarossas Enkel Friedrich II. auf die deutsche Königs­ krone erhobenen Anspruch. Der Kurs, den Hermann I. in diesen Aus­ einandersetzungen steuerte, war spektakulär, hatte er doch »den von seinen Vorgängern aufgerichteten Landesstaat bedenkenlos in den Parteienkampf der Jahre des Thronstreites gestellt, sich dem Papst und zwei feindlichen Königen zu einem begehrten Parteigän­ ger machen können und schließlich den dritten gewählt,…« 34 Vor­ geworfen wurde ihm Herzlosigkeit gegen seine Untertanen, die durch die aus seiner Politik resultierenden Kriege zu leiden hatten. Es lag »zwar mit in der geographischen Lage Thüringens begründet, wenn vornehmlich hier Kämpfe zwischen den beiden Königen, de­ ren Anhängerschaft sich auf den Norden und den Süden des Reiches konzentrierte, ausgefochten wurden, aber der Charakter des Land­ grafen und sein ungehemmtes Machtstreben, das je nach Gunst der Lage seinen Vorteil suchte, trug dazu bei, die Verwirrung ins Uner­ trägliche zu steigern.« 35 Reichspolitisch war Hermann I. einer der führenden Fürsten seiner Epoche. Zudem verfügte er über ausgezeichnete Beziehungen zur Kurie und zu den Königshöfen von Frankreich und England. Als Persönlich­ keit wird er in sich widersprüchlich – als gebildet und feinsinnig, aber auch als rücksichtslos und mitunter grausam – geschildert. Wie die Reinhardsbrunner Chronik (1340–1349) idealisierend berichtet, war er »unter allen Großen des Reiches der namhafteste, dessen Vortrefflich­ keit allen Fürsten Deutschlands, sowohl zu Hause, als im Kriege entge­ genstrahlte durch die Haltung des Körpers, seine geschulten Sitten, ruhige Überlegung im Reden, Freigiebigkeit, züchtigen Gang bei männlichem Freimut; der, wenn er mit einem starken Trupp zusam­ mentraf, leichten Kaufs den Triumph über seine Feinde davontrug, der selten die müden Glieder dem Schlafe überließ, ohne erst eine Über­ legung angestellt zu haben entweder über die Heilige Schrift oder die Großherzigkeit alter Helden. Das eine Mal hatte er ein aufmerksames Ohr für Werke in lateinischer, das andere Mal in deutscher Sprache. Niemals überließ er sich einer nutzlosen Ruhe.« 36 Unabhängig der von ihm verursachten politischen und kriegeri­ schen Verwerfungen hat die Literatur- und Kulturgeschichte Hermann I. ein positives Andenken bewahrt, denn »als Förderer der Dichtung und Künste hat sich sein Ruhm bis in die Gegenwart hinein erhalten.« 37 Hier häufen sich die positiven Urteile bis zur Euphorie. Geschätzt wird er als »Mäzen ganz großen Stils«, als der »kunstbegeisterte Mäzen, großherzige Förderer von Literatur und Kunst«. 38 Der Thüringer Hof der Ludowinger wurde unter ihm »neben dem Hof der Babenberger in Wien – das bedeutendste Zentrum der höfischen Dichtkunst in Deutschland«. 39 Hermanns »Interesse und seine Unterstützung für die Literatur re­ sultierten nicht nur aus einem Repräsentationsanspruch, sondern auch aus einer ganz persönlichen Neigung zur Kunst.« 40 Die Grundlage für diese Neigung dürfte in seiner Jugend gelegt worden sein. 1162 hatte sein Vater den französischen König Ludwig VII. brieflich darum gebe­ ten, zwei seiner Söhne zur Erziehung und insbesondere ihrer literari­ scher Bildung wegen an den französischen Hof zu nehmen. Hermanns persönliches Profil, seine späteren intensiven Beziehungen zum fran­ zösischen Hof und das Niveau seiner Bildung legen nahe, dass er einer dieser beiden Söhne war. An seinem Beispiel wird deutlich, »wie per­ sönliches Kunstinteresse und fürstlicher Repräsentationswille zur Aus­ bildung eines eigenen Hofstils zusammengewirkt haben.« 41 Als Liebhaber der Literatur förderte Hermann I. auch die Buchmale­ rei, was seinen Widerhall in Werken einer »thüringisch-sächsischen Malerschule« 42 fand. Für seine zweiten Ehefrau Sophia, eine Tochter von Herzog Otto I. von Bayern, ließ er Meisterwerke wie den »Land­ Abb. 6 Gedenktafel für Albrecht von Halberstadt an der Dorfkirche in Jechaburg (1923, Foto: 2016).

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