Leseprobe
27 grafenpsalter« (1211–1213) 43 und den »Elisabethpsalter« (1201–1207) 44 anfertigen. Besondere Aufmerksamkeit verdient die an Hermanns Burgen konzipierte Architektur. Dabei ist insbesondere auf die Doppel kapelle auf der Neuenburg und den Palas von Burg Weißensee zu ver weisen. Diese Bauten spiegeln nicht nur Repräsentationswillen, sondern auch ein im Niveau beachtliches Interesse des Bauherrn wider. Unter Hermanns Ägide soll 1206 auf der Wartburg jener »Sänger krieg« 45 stattgefunden haben, bei dem Walther von der Vogelweide, Heinrich von Ofterdingen, Biterolf und der »Tugenhafte Schreiber« konkurrierten, Wolfram von Eschenbach und Reimar von Zweter als Richter agierten. Moritz von Schwind hat das Ereignis in den Fresken des Rittersaals der Wartburg phantasievoll dargestellt. 46 Unabhängig von dieser Szenerie ist unstrittig, dass viele der besten Dichter des Reichs Hermanns Hof in der Hoffnung auf Förderung aufsuchten. Be deutende Dichter wie Heinrich von Veldeke, Walther von der Vogel weide, Herbort von Fritzlar, Wolfram von Eschenbach weilten an die sem Hof oder standen mit ihm in Verbindung. Das Verhältnis, in dem Albrecht von Halberstadt zu Hermanns Hof stand, ist weniger deutlich fassbar. Mintunter hat man Hermann I. als Auftraggeber Albrechts an gesehen. Belegen lässt sich aber nur, dass der Dichter dem Landgrafen sein Werk gewidmet hat. Hermann förderte »weniger die ›moderne‹ Artusepik seiner Zeit, als vielmehr historische Stoffe.« 47 Heinrich von Veldeke hat auf Hermanns Betreiben seine »Eneit«, eine Bearbeitung des Aeneas-Mythos, voll endet, Herbort von Fritzlar sein »liet von troye« verfasst, das die der »Aeneis« vorausgehende Geschichte des Trojanischen Krieges erzählt. In diese Tendenz fügt sich Albrechts Werk ein. Mit seiner Übertragung der »Metamorphosen« steht er für »die klassische Richtung des Thü ringer Hofes.« 48 Zusammen mit der »Eneade« und dem »Lied von Troja« bildet das Werk »die große Trias des thüringischen Antikekreises.« 49 Dass Albrecht von Halberstadt von den beiden anderen hier genann ten Dichtungen »persönlich Kenntnis hatte, geht aus einigen sicherlich nicht zufälligen wörtlichen Übereinstimmungen hervor.« 50 Dass Per sonen wie Albrecht und Herbort ins Blickfeld des Landgrafen rückten, war der Tatsache zu verdanken, dass dieser in seiner Funktion als weltlicher Schutzherr »zu den Klöstern Jechaburg und Fritzlar enge Beziehungen unterhielt.« 51 Unter den im Umfeld von Hermann I. entstandenen Dichtungen nimmt Albrechts Werk trotz seiner Zugehörigkeit zu der am landgräfli chen Hof bevorzugten literarischen Tendenz eine Sonderstellung ein, da die anderen großen Werke nach antiken Stoffen als Übertragungen aus dem Französischen entstanden sind, Albrecht aber – diese Ver mittlung vermeidend – auf das lateinische Original zurückgriffen hat. Deshalb war seine Bearbeitung des Ovid »ein sowohl charakteristi sches als auch singuläres Ereignis. Charakteristisch insofern, als es in die antikisierende Literaturtradition des thüringischen Hofes gehört, einzigartig jedoch sowohl durch seinen spezifischen Gehalt als auch durch die unmittelbare Übertragung eines antiken Epos aus dem latei nischen Original ohne die bereits gewohnte Einschaltung einer roma nischen Zwischenstufe.« 52 Mit seiner Orientierung am lateinischen Original stellte sich Albrecht eine Aufgabe, die viel »schwerer … war als die Übersetzung aus dem Französischen.« 53 Sein Werk markiert einen »Höhepunkt der Ovidrezeption in Deutschland …, da nur er eine voll ständige Übersetzung bzw. Bearbeitung eines Ovidschen Werkes an hand der lateinischen Vorlage unternahm.« 54 Auch aus diesem Grund ist Albrechts Werk ein »Text, der in der Literaturgeschichte des 13. Jahr hunderts merkwürdig vereinzelt steht«. 55 Albrecht von Halberstadt und sein Werk Zur Quellenlage. Die Überlieferung von Albrechts »Metamorphosen«- Übertragung ist ein Sonderfall in der Rezeption der mittelhochdeut schen Dichtung. Das Werk wäre bis auf wenige Fragmente verloren, hätte der Elsässer Dichter Jörg Wickram nicht 1545 anhand einer ihm zugänglichen oder in seinen Besitz gelangten Handschrift eine inhalt lich weitgehend getreue, sprachlich jedoch am Deutsch des 16. Jahr hunderts orientierte Adaption verfasst und herausgegeben. Daraus resultiert die eigenartige Konstellation, dass Ovid und Wickram, d. h. Vorlage und Adaption von Albrechts Werk, problemlos zur Verfügung stehen, während sich das Werk an sich trotz einiger nachweisbarer Fragmente einer Handschrift aus dem 13. Jahrhundert nur indirekt er schließen lässt. Die Schwierigkeiten, mit denen die Forschung beim Versuch einer sachlichen Bewertung und gerechten Würdigung von Albrechts »Metamorphosen« zu kämpfen hatte und hat, ist aphoris tisch umschrieben worden: »Ovids und Wickrams Werke waren sicht bar, Albrechts Werk stand im Nebel.« 56 Doch bot die Dreidimen sionalität der Überlieferung – soweit fassbar – die Chance, »das eigene dreier Sprachwelten im Vergleich hörbar zu machen.« 57 In Anbetracht des von Wickram adaptierten Textes muss Albrechts Werk etwa 22 000 Verse umfasst haben. Davon sind neben dem von Wickram wiedergegebenen Prolog zu 100 Versen 58 nur 708 Verse in fünf Fragmenten (A– E) überliefert, die 1859, 1865 und 1966 publiziert wurden 59 und aus einer Handschrift stammen, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts verfasst, im ersten Drittel des 17. Jahrhun derts zerschnitten und zum Einbinden von Archivalien verwendet worden ist (Abb. 7). 60 Diese Fragmente (A– E) beinhalten: A (144 Ver se), Ovid, Met. VI, 440–479 (Tereus, Prokne, Philomela); B (279 Verse), Ovid, Met. XI, 156–290 (Midas richtet über Apollo bis Peleus und Ceyx); C (144 Verse), Ovid, Met. XIV, 685–758 (Iphis und Anaxarete); D / E (zusammen 141 Verse), Ovid, Met. (aus Buch XI, kaum lesbar). Alle diese Fragmente stammen aus Oldenburg und dürften auf den Bibliotheks- oder Archivbestand des Oldenburger Grafenhaus zurück gehen. 61 Die Frage, warum die Abschrift eines in Jechaburg entstandenen Textes der mittelhochdeutschen Literatur gerade in Oldenburg gefunden wurde, hat zur Reflexion der Beziehungen geführt, die die schwarz burgischen und oldenburgischen Grafschaften und Grafengeschlechter im späten Mittelalter und der Frühen Neuzeit verbunden haben. 62 Je nach Perspektive treten dabei schwarzburgische oder oldenburgische Protagonisten in den Vordergrund. Im 13. und späten 15. Jahrhundert, aber auch zwischen 1550 und 1650 bestandenen Konstellationen, durch die diese Handschrift aus Thüringen nach Oldenburg gelangt sein könnte. Aus Oldenburger Sicht ist Graf Otto II. von Oldenburg-Delmenhorst (reg. 1272–1301, † 1304) mit der Handschrift in Verbindung gebracht worden, da dieser über verwandtschaftliche Kontakte nach Mittel deutschland verfügte und sich einer der Fürstensprüche des Dichters Heinrich von Meißen auf ihn beziehen dürfte. 63 Die Sondershäuser Perspektive verweist hingegen auf Graf Heinrich XXVII. von Schwarz burg (1440–1496), der in jungen Jahren Propst zu Jechaburg, später Bischof in Münster und Erzbischof in Bremen war. 64 Sein Bruder Gün ther XXXIX. (reg. 1455–1531, »der Bremer«), ebenfalls Propst zu Jecha burg, diente ihm als Statthalter. 65
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