Leseprobe
29 Interessanter scheinen jedoch die verwandtschaftlichen Beziehun gen zu sein, die im späteren 16. und frühen 17. Jahrhundert zwischen den Grafen von Oldenburg und den Grafen von Schwarzburg bestan den. 66 Johann Günther I. von Schwarzburg-Sondershausen ehelichte 1566 Anna von Oldenburg-Delmenhorst. Die Söhne des letztgenann ten Paares standen nach dem Tod ihrer Eltern unter der Vormundschaft ihrer Onkel, der Grafen Johann VII. und Anton II. von Oldenburg-Del menhorst, und verbrachten einen Teil ihrer Jugend in Delmenhorst. Da man am Sondershäuser Hof gegen Ende des 16. Jahrhunderts – als die Oldenburger Grafen und deren Beamte hier präsent waren – gewiss Umgang mit säkularisierten Gütern aus Jechaburg hatte, könnte sich unter diesen auch die spätere »Oldenburger« Handschrift der »Meta morphosen« befunden haben. Auch nachdem die Sondershäuser Grafen dieser Generation um 1593 selbst die Regierung übernommen hatten, bestanden enge Beziehungen nach Oldenburg und Delmen horst. Entstehungsort, Autor und Datierung des Werkes. Der von Wickram vermittelte Prolog Albrechts (Abb. 8 a–c) enthält zur Bewertung von dessen Werk drei Schlüsselinformationen, die sich auf die Person des Autors, auf den Ort der Entstehung und auf die Datierung des Werkes beziehen. Diese Informationen sind umso wertvoller, da ihre Vermitt lung in einem Werk der mittelhochdeutschen Literatur nicht selbstver ständlich ist. Sinnvolle Schlüsse sind aber aus diesen Daten, die mit 800 Jahren Abstand zu Albrecht und fast 500 Jahren Abstand zu Wick ram rezipiert werden müssen, nur anhand philologischer und landes geschichtlicher Erwägungen und Argumente zu ziehen. Die Klärung der damit verbundenen Probleme markiert einige Stationen der For schungsgeschichte, weshalb beides im Folgenden im Abgleich mitein ander behandelt wird. Ausgangspunkt der wissenschaftlichen Rezeption von Albrechts Werk war 1843 die Publizierung des von Wickram mitgeteilten Prologs durch Moritz Haupt, Herausgeber der »Zeitschrift für deutsches Alter thum«. 67 Dabei untersetzte Haupt den von Wickram überlieferten Text durch »Lesarten«, die Rückschlüsse auf Albrechts Originaltext anboten. Jacob Grimm ging 1851, ebenfalls in der »Zeitschrift für deutsches Alterthum«, dreimal auf Albrecht von Halberstadt ein, regte bei dieser Gelegenheit auch den Versuch einer Rückübersetzung von Wickrams Text in Albrechts Sprache an. 68 Einen solchen Versuch unternahm Karl Bartsch. 69 Während er an seiner Rückübersetzung arbeitete, wurde 1859 ein erstes Fragment von Albrechts Originaltext (B) publiziert. Nach der Veröffentlichung von Bartschs Werk (1861) und der kurz darauf folgenden eines zweiten Fragments (A, 1865) wurde deutlich, dass Bartschs Rückübersetzung methodisch nicht zu halten sein würde. Zum Entstehungsort. In seinem Prolog nennt Albrecht den Ort, an dem er sein Werk geschaffen hat und den historischen Kontext: »Daß ich daß Buch begund // Bei eynes Fursten zeiten // Der inn allen Landen weiten // Daß war der Vogt von Türingen lant // Von seiner Tugent wol bekant // Dem Lantgrafe Herman // Ich han billichen dar an // Dem Fursten zu hand// Wan diß Buch inn seinem Landt // Auff eynem Berg wolbekandt // Er ist Zechenburch genant // Wardt inn dich ten gedacht // Begunnen und vollenbracht.« 70 Damit stand ein Ort in Thüringen, der zur Regierungszeit von Landgraf Hermann I. relevant war, als Ort der Entstehung des Werkes fest. Als sich Grimm 1851 mit der Identifizierung des in der Vorrede Albrechts genannten Ortes befasste, kam er zu dem Schluss, dass »Zechenbuch« als »ze Iecheburc« zu lesen sei, was zu der seitdem unstrittigen Gleichsetzung mit Jechaburg führ te. Damit war interessanterweise eine Lokalität ermittelt worden, die »fast auf dem halben Weg von Halberstadt nach Eisenach« 71 – dem Geburtsort Albrechts und dem Hof von Hermann I. – lag. Grimm musste sich zunächst mit der Vermutung begnügen, dass Albrecht ein Mönch zu Jechaburg gewesen sein könne. Nicht bekannt war ihm, dass der Bezug zwischen Jechaburg und Albrecht schon 1598 von Cyri akus Spangenberg hergestellt worden war, auch wenn Albrecht dabei nicht namentlich, sondern nur bezüglich seiner Abstammung aus Niedersachsen, genannt wurde: »Ein gelärter Sachß, Welcher Land grauen Hermann zu Türingen, Daß buch Metamorphosis Ouvidij zu gefallenn In Teutschreymen gebracht, vnnd solches auff Einem Berg oder Burg Zechenbuch genannt. Wo diser Ort gelegen hab Ich nicht khönnen erforschen, Ist villeicht Auff Jochsburg bey Sunderßhausen geschehen, Welches vor Zeitten Ein Heydnischer Hayn Ahn der hainli ten gewesen.« 72 Zum Autor. Den Namen Albrechts erfährt man durch die Über schrift der Vorrede, die Wickram als »Meyster Albrechts Prologus …« 73 wiedergibt. Über sich selbst sagt Albrecht in diesem Prolog, er sei »Weder Schwab noch Beyer // Weder Türing noch Franck //… eyn Sachs heisset Albrecht // Geboren von Halberstatt«. 74 Dass ein aus Halberstadt gebürtiger Chorherr in Jechaburg weilte, verwundert nicht, da zwi schen Halberstadt und Jechaburg zu dieser Zeit offenbar enge institu tionelle und personelle Beziehungen bestanden. Die Pröbste Werner von Biesenrode und Burchard von Wartberg, die dem Jechaburger Archidiakonat zwischen 1195 und 1230 vorstanden, waren Halberstäd ter Domherren. 75 Damit sind der Geburtsort des Autors und seine Stammeszugehörig keit geklärt. Durch Konsultation des Rudolstädter Archivars Ludwig Friedrich Hesse gelang es Grimm schließlich, einen aus Halberstadt stammenden und im Stift Jechaburg wirkenden Albrecht in Urkunden aus den Jahren 1217, 1221 (1218) und 1251 als »Albertus scholasticus« nachzuweisen. 76 Ein »scholasticus« – kein einfacher Lehrer, sondern Vorstand der Stiftsschule – stand in der Rangfolge des Stiftes nach dem Propst und dem Dekan an dritter Stelle, gefolgt vom Cantor, Custos und magister scholarium, dem eigentlichen Lehrer. 77 Irmisch fügte 1873 eine Erwähnung von 1231 hinzu. 78 Bei Bewertung dieser Erwähnungen ist jedoch zu beachten, dass die Funktion eines »scholasticus« eine Stufe in der Ämterlaufbahn eines Chorherrn war und kaum jahrzehntelang von derselben Person ausgeübt worden sein dürfte. So fokussiert sich das Interesse auf die Erwähnungen von 1217, 1221 (1218) und 1231, wäh rend sich die von 1251 auf eine andere Person gleichen Namens bezie hen dürfte. Seit 1908 ist gelegentlich im Zusammenhang mit einer literatur geschichtlich motivierten Frühdatierung der Jechaburger »Metamor phosen«-Übertragung auf »um 1190« – alternativ zu dem hier ansässi gen Chorherrn Albrecht – ein Domherr »Albertus«, der zwischen 1178 und 1193 in Halberstadt verschiedene Ämter bekleidete, als Autor in Erwägung gezogen worden. 79 Als Argument für Letzteren wurde geltend gemacht, dass »Albrechts Gedicht nach Geist und Form näher bei der älteren Dich tung wie der ›Eneit‹ stünde als bei den um 1210 ›modernen‹ Dichtun gen.« 80 Zudem würden »Form und Stil« von Albrechts Werk »nicht mehr so recht in die späte Zeit« passen, »eine Phase, in der die höfisch-epi schen Meisterwerke Hartmanns von Aue, Gottfrieds von Straßburg und Wolframs von Eschenbach bereits gedichtet und erfolgreich literarisch verbreitet gewesen sind.« 81 – Das hier aufgeworfene Problem ist im Zu sammenhang mit der Erörterung der Datierung zu prüfen.
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