Leseprobe

67 »Gewölbe Nordwest« ordnete sich dieser Nutzung als »Niederlage von Stoffen für den Hoftapezier« 23 zu. »Wiederentdeckt« wurde das »Gewölbe am Wendelstein« als his­ torische Raumfassung 1893. In diesem Jahr kehrte Prinz Leopold von Schwarzburg-Sondershausen, 24 der mehrere Jahre gemeinsam mit seiner Schwester Elisabeth 25 in Dresden gelebt hatte, nach deren Tod nach Sondershausen zurück. 26 Als für ihn im Schloss Räumlichkeiten im 1. Obergeschoss des Süd- und Ostflügels hergerichtet wurden, ord­ nete man das im Schlossturm im Anschluss an den Ostflügel gelegene Gewölbe dem Appartement des Prinzen als »Garderoberaum« 27 zu. Bei dieser Gelegenheit wurde man auf die Stuckdekoration dieses Raumes aufmerksam. Als der Sondershäuser Gymnasiallehrer Günther Lutze 1909 den zweiten Band seines Werkes »Aus Sondershausens Vergangenheit« veröffentlichte, wurde das »Gewölbe am Wendelstein« erstmals in der Literatur erwähnt und abgebildet (Abb. 29, 30). Lutze zufolge verdiente der Raum »insofern besondere Beachtung, als die in 16 Felder zerlegte Decke einen höchst eigenartigen, in Gips ausgeführten plastischen Schmuck zeigt: Tiergestalten aller Art, unter denen selbst Lindwurm und Einhorn nicht fehlen, welche zwischen den zierlich ornamentier­ ten Gurtbögen verteilt sind. Auf den größeren Decken- und Wandflä­ chen aber sieht man Medaillonbilder zusammengestellt, zu denen der schaffende Künstler geeignete Motive teils aus der Mythologie, teils aus den Aesopschen Tierfabeln entlehnt hat.« 28 Lutze, von Haus aus Bota­ niker, hat die Ikonographie des Dekors nicht näher untersucht, son­ dern sich damit begnügt, den mythologischen Charakter der Motive zu bemerken. Einige der wiedergegebenen Tiergestalten haben ihn of­ fenbar fasziniert. Darstellungen nach Fabeln des Äsop erkannte er als solche. Unklar bleibt, wie Lutzes Bemerkung, das Stuckdekor sei bis 1893 »unter einem Kalküberzuge verborgenen« 29 gewesen, zu verstehen ist. Das »Verdienst, den Wert der ebenso originellen, wie vorzüglich ausgeführten Verzierung erkannt und sie durch vollständige Freile­ gung wieder zur Geltung gebracht zu haben«, 30 sprach Lutze dem Hofmarschall Bruun von Neergaard zu. Doch auch der kunstinteres­ sierte Prinz Leopold selbst, der als Maler dilettierte 31 und aus Angehö­ rigen der Hofkapelle ein Streichquartett zusammengestellt hatte, mit dem er musizierte, könnte Interesse an der Stuckdekoration gefun­ den haben. Lutze publizierte auch einige Informationen zur damaligen Nutzung der Räume im 1. Obergeschoss, jedoch leider nicht mit der wünschens­ werten Eindeutigkeit. So vemerkte er, in dieser Etage des Schlossturms läge »nach Norden zu das mit eiserner Tür gut verwahrte Silbergewöl­ be aus früheren Tagen, das im vorigen Jahrhunderte eine zeitlang als Archiv benutzt worden« 32 sei. Offen bleibt, ob damit das »Gewölbe Nordwest« oder der östlich von diesem gelegen, 1918 / 19 modernisier­ te Bereich gemeint war, der im Schlossinventar von 1870 / 71 noch als Archiv fassbar ist. 33 Wesentlicher als die Frage, ob sich Lutze 1909 bei Erwähnung einer ehemaligen Archivnutzung auf einen dieser Räume oder auf beide be­ zogen hat, ist die Tatsache, dass er um eine ehemalige, nicht raumbe­ zogen fassbare Nutzung dieses Bereichs als »Silbergewölbe« wusste. Vielleicht folgte er hier einer mündlichen Tradition, denn diesbezügli­ che Quellen sind nicht bekannt. 34 Als die Sondershäuser Linie des schwarzburgischen Fürstenhauses 1909 mit dem Tod des Fürsten Karl Günther erlosch und die Fürsten­ tümer Schwarzburg-Sondershausen und Schwarzburg-Rudolstadt aufgrund des Erbfolgevertrages von 1713 durch den Fürsten Günther Victor von Schwarzburg-Rudolstadt in Personalunion vereinigt wur­ den, benötigte das Rudolstädter Fürstenpaar, das sich von nun an gelegentlich in Sondershausen aufhielt, Wohn- und Repräsentati­ onsräume im Schloss. Die seit dem späten 18. Jahrhundert vom je­ weiligen Fürstenpaar genutzten Räumlichkeiten im Westflügel des Schlosses kamen hierfür nicht infrage, da die Fürstin-Witwe Marie von Schwarzburg-Sondershausen, geb. Prinzessin von Sachsen-Al­ tenburg, diese bewohnte. So lag es für die Rudolstädter nahe, den Raumtrakt in den »alten« Schlossflügeln zu beziehen, den Prinz Le­ opold von Schwarzburg-Sondershausen bis zu seinem Tod (1906) bewohnt hatte. Damit wurde die durch den Tod des Prinzen unter­ brochene Nutzung des »Gewölbes am Wendelstein« wieder aufge­ nommen. Ein Foto aus einer 1909 gedruckten Postkartenserie zum Sondershäuser Schloss zeigt den Raum mit einer repräsentativen Ein­ richtung als »Vortragszimmer des Fürsten« (Abb. 31), 35 wobei der »Fürst«, auf den hier Bezug genommen wird, schon Günther Victor von Schwarzburg-Rudolstadt gewesen sein muss. Die unteren Wand­ Abb. 31 Gewölbe am Wendelstein als Vortragszimmer des Fürsten , Ver­ größerung einer Postkarte von 1909 (Schlossmuseum Sondershausen).

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