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154 5 Der »Barock«-Umbau des Sonders- häuser »Renaissance«-Schlosses in den 1690er-Jahren und seine dynastiegeschichtliche Motivation Der Bauherr und seine Intentionen. Die barock dekorierten Räume im 1. und 2. Obergeschoss des Süd- und Ostflügels von Schloss Son­ dershausen mit dem Riesensaal als Höhepunkt bieten in ihrer Kombi­ nation aus Stuckaturen und Deckengemälden einen in dieser Dichte und Geschlossenheit in Thüringen einmaligen Komplex hochbarocker Raumkunstwerke. 1 Diese Raumdekore verdanken ihre Entstehung dem Repräsentationsanspruch des Grafen, ab 1697 Fürsten Christian Wil­ helm von Schwarzburg-Sondershausen (1647–1721, reg. ab 1670) 2 und werden zu Recht mit der Vermittlung der von diesem Dynasten betrie­ benen und schließlich erwirkten Standeserhöhung in Verbindung ge­ bracht. 3 Christian Wilhelm, Initiator des »Barock«-Umbaus am Sonders­ häuser Residenzschloss, steht aufgrund seiner langen Lebens- und Regierungszeit als epochentypische Persönlichkeit für die Entwicklung des Fürstentums Schwarzburg-Sondershausen während eines ganzen Zeitalters (Abb. 135). Dabei sind seine Biographie und Regierung un­ trennbar mit der seines sechs Jahre jüngeren Bruders Anton Günther II. 4 verbunden. Als Graf Anton Günther I. schon 46-jährig verstarb, waren seine Söhne Christian Wilhelm und Anton Günther II. erst neunzehn bzw. dreizehn Jahre alt, also noch unmündig. Die Regierungsgeschäfte führten ihre Mutter Maria Magdalena, eine Tochter des Pfalzgrafen Ge­ org Wilhelm von Zweibrücken-Birkenfeld, und ihr in Ebeleben resi­ dierender Onkel Ludwig Günther II. 5 Im Rahmen ihrer höfischen Erzie­ hung lebten Christian Wilhelm eine kürzere und Anton Günther II. eine längere Zeit am Hofe von Herzog Rudolf August von Braun­ schweig-Wolfenbüttel. 1667 bis 1669 absolvierte Christian Wilhelm in Begleitung seines Hofmeisters Georg Ludwig von Wurmb eine Kava­ lierstour, die ihn über Straßburg nach Paris, zu den Schlössern an der Loire, durch Südfrankreich und Norditalien nach Rom, zurück nach Paris, schließlich nach England und über die Niederlande zurück nach Deutschland führte. 6 1670 trat er die Regierung an. Die 1672 beabsichtigte Vermählung mit der auch als Dichterin geist­ licher Lieder bekannten Ludämilie Elisabeth, einer Tochter des Grafen Ludwig Günther I. von Schwarzburg-Rudolstadt, 7 wurde durch den plötzlichen Tod der Braut, die wie zwei ihrer Schwestern an einer Masernepidemie verschied, hinfällig. 1673 vermählte sich Christian Wil­ helm mit der verwaist am Rudolstädter Hof lebenden Gräfin Antonia Sibylla von Barby. Nachdem diese bei der Geburt ihres siebten Kindes verstorben war, ging er 1685 eine zweite Ehe mit Wilhelmine Christiane, einer Tochter von Herzog Johann Ernst II. von Sachsen-Weimar, ein. Diese Eheschließung zwischen dem damals noch gräflichen Haus Schwarzburg-Sondershausen und dem herzoglichen Haus Sachsen- Weimar durchbrach die bisherigen Heiratskreise der Schwarzburger. 8 Vermutlich wollte Christian Wilhelm durch Assimilierung an das Wei­ marer Herzoghaus seine reichsunmittelbare Stellung und seinen An­ spruch auf Ebenbürtigkeit mit den Ernestinern betonen. Aus dieser Ehe, die auch im Interesse der angestrebten Standeserhöhung geschlossen worden sein dürfte, gingen acht Kinder hervor. Aus den engen Beziehungen, die Christian Wilhelms Bruder Anton Günther II. zum Braunschweiger Hof pflegte, ergab sich 1684 seine Vermählung mit Auguste Dorothea von Braunschweig-Wolfenbüttel. 9 Diese Ehe blieb kinderlos. Offenbar inspiriert vom Braunschweigischen Schloss Salzdahlum 10 ließ Anton Günther II. von 1699 an für seine Ge­ mahlin bei Arnstadt Schloss Augustenburg errichten. Diesen Wittums­ sitz bewohnte Auguste Dorothea schon zu Lebzeiten und nach dem Tod ihres Gemahls noch 35 Jahre. Bei diesem Schloss gründete sie die Fayencemanufaktur »Dorotheenthal«, die ihre Produktion nach mehr­ jährigem Versuchsbetrieb um 1715 aufnahm. Hier entstand auch das Puppenkabinett »Mon plaisir« (Schlossmuseum Arnstadt). Wie seine Vorfahren war auch Christian Wilhelm bestrebt, seinen mili­ tärischen Pflichten gegenüber dem Reich nachzukommen. Als Schwarz­ burg-Sondershausen während des »Holländischen Krieges« (1672–1678), den Ludwig XIV. gegen die Niederlande führte, im Rahmen der vom obersächsischen Reichskreis zu stellenden Truppen seinen Beitrag zu leisten hatte, nahm Christian Wilhelm als Rittmeister einer Reiterkompa­ nie mit einem kleinen Sondershäuser Kontingent teil. 11 Nachdem Anton Günther II. 1674 ebenfalls volljährig geworden war, teilten die Brüder ihren Besitz interimistisch. Dabei hatten sie sich zu­ nächst mit ihrem Onkel Ludwig Günther II. und den von diesem ge­ setzten Prioritäten zu arrangieren. Als Ältester der Dynastie residierte Ludwig Günther II. in Arnstadt, während Christian Wilhelm sich in Sondershausen und Anton Günther II. in Keula niederließ. Als die Brüder nach dem Tod ihres Onkels über die gesamte Grafschaft verfü­ gen konnten, kam es 1682 zu einer Landesteilung, die bis zum Tod von Anton Günther II. (1716) Bestand hatte. Christian Wilhelm regierte von der Residenz Sondershausen aus die unterherrschaftlichen Ämter Son­ dershausen, Ebeleben und Greußen, während Anton Günther II. in Arnstadt Schloss Neideck bezog, das oberherrschaftliche Amt Arnstadt / Käfernburg und die unterherrschaftlichen Ämter Keula und Schernberg erhielt. Das Amt Gehren wurde seiner Reichsunmittelbarkeit wegen als gemeinsamer Besitz verwaltet. Die Erbteilung von 1682 brachte als Besonderheit mit sich, dass sich nicht wie bisher üblich der Älteste der Dynastie in Arnstadt niederließ. Vermutlich hatte sich Christian Wilhelm in Sondershausen in mehr als einem Jahrzehnt so weit etabliert, dass er an einem Wechsel nach Arnstadt nicht interessiert war. Aus dieser Situation heraus wurde die bis dahin übliche Priorität in der Nutzung der Residenzen dauerhaft vertauscht, wodurch Sondershausen zum Sitz des jeweils Ältesten und nach Einführung der Primogenitur zur Hauptresidenz wurde – eine Konstellation, die bis zum Erlöschen der Linie Schwarzburg-Sonders­ hausen (1909) bestehen blieb. Erhebung in den Reichsfürstenstand. Christian Wilhelm bemühte sich intensiv um die Erhebung seiner Dynastie in den Reichsfürsten­ stand. Dies war das zentrale Thema seiner Regierungszeit. Ein bedeu­ tender Schritt auf dem Weg dahin war die Verleihung der Reichsgra­ fenwürde (1691). 12 Am 3. September 1697 erfolgte die Erhebung in den Reichsfürstenstand. 13 Die Aufwertung des Status der Schwarzburger brachte aber auch Probleme mit sich, die sich aus dem Widerstand der Wettiner gegen die Fürstung der Schwarzburger und der Wahrneh­ mung der damit verbundenen Rechte ergaben. Wenn die fürstliche Würde der schwarzburgischen Dynastie nun auch formal gesichert war, musste ihre Respektierung in der Praxis doch erst durchgesetzt wer­ den. Da die lehnsrechtlichen Bindungen der Schwarzburger an die Wettiner in den einzelnen Territorien verschieden definiert waren, gingen die schwarzburgischen Dynasten mit der Praktizierung der Standeserhöhung unterschiedlich um. Während Christian Wilhelm seine Reichsfürstenwürde schon 1697 publizierte, nahm Anton Gün

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