Leseprobe

157 gelegentlich auch Aufwendungen zum Umbau und zur Neuausstat­ tung des Schlosses. Diese Rechnungen, die den Verlust der Schlossbau­ rechnungen nicht ausgleichen können, sind für die erste Hälfte der 1690er-Jahre nicht und danach nur lückenhaft nachweisbar, so für die Jahre 1695 / 96, 1696 / 97, 1697 / 98, 1700 / 01 (letztere unvollständig, ohne Baukapitel) und 1701 / 02. 24 Das Fehlen der Jahrgänge 1698 / 99 und 1699 / 1700 ist besonders bedauerlich, da in diesen Jahren wichti­ ge Ausstattungsarbeiten stattgefunden haben müssen. Aufgrund dieser Quellenlage sind der größte Teil der Leistungen, die von den für den Umbau hauptsächlich relevanten Gewerken der Mau­ rer und Zimmerleute in der ersten Hälfte der 1690er-Jahre erbracht wurden, archivalisch nicht fassbar. Als der Sondershäuser Schieferde­ cker Hans Lutsch 1696 für die Eindeckung des »neues Gebäudes« u. a. aus der Renteikasse entlohnt wurde, muss der äußere Umbau des Süd- und Ostflügels weitgehend abgeschlossen gewesen sein. 25 Spätestens 1701 / 02 waren die Repräsentationsräume fertiggestellt und eingerich­ tet. Eine Hoffestlichkeit vom 6. Januar 1702 belegt, dass der bei Umbau durch Entkernung von Altsubstanz im 2. Obergeschoss des Südflügels entstandene Riesensaal, dekoriert mit 16 überlebensgroßen Stuckfigu­ ren antiker Gottheiten und 22 Gemälden im Deckenstuck, zu diesem Zeitpunkt für eine solche repräsentative Veranstaltung nutzbar war. 26 Auch einer 1703 fassbaren ersten Erwähnung des Riesensaales in der Literatur zufolge wurde der Saal damals bereits genutzt. 27 Architektonisch wurde der Schlossumbau auf zwei Optionen ausge­ richtet – spektakuläre Aufstockungen und bescheidene Anbauten. Dies bezog sich vor allem auf den Umbau des 2. Obergeschosses am Süd- und Ostflügel und die Aufstockung weiterer Etagen auf diesen Trakt. Die zuvor über dem 2. Obergeschoss gelegenen Giebel und Zwerch­ häuser wurden abgetragen. Der Baukörper wurde durch besagte Auf­ stockungen am Ostflügel bis auf fünf und am Südflügel bis auf sechs Etagen gesteigert. Am Ostflügel wurde die fünfte, am Südflügel die fünfte und sechste Etage stufenartig vom Unterbau abgesetzt. Dabei entstand die seitdem für das Erscheinungsbild dieses Traktes von Schloss Sondershausen typische und ungewöhnliche, weil pyramidal zulaufende Konzipierung der Obergeschosse. Warum Schloss Sonders­ hausen baulich in der Vertikalen gesteigert wurde, während der Schlossbaukunst dieser Epoche im Wesentlichen an der horizontalen Gliederung und Entfaltung der Baukörper gelegen war, bleibt unklar. Offenbar sah man in den 1690er-Jahren nicht die in den 1760er-Jah­ ren genutzte Möglichkeit, durch den Bau eines neuen Schlossflügels eine nennenswerte Erweiterung der überkommenen Bausubstanz vorzunehmen. Christian Wilhelm dürfte auch einen sehr viel stärkeren Bezug zur Altsubstanz des Schlosses gehabt haben, als ihn sein Enkel Christian Günther sechs Jahrzehnte später hatte. Während bis zum 2. Obergeschoss mit dem Baukörper des 16. Jahr­ hunderts auch dessen in Stabwerk gehaltene Fenstergewände (z. T. überputzt) erhalten blieben, wurde das aufgestockte 3. Obergeschoss am Südflügel zu den Untergeschossen durch ein kräftiges Gesims ab­ gesetzt und mit Fenstergewänden ausgestattet, deren Schwere und plastische Gliederung dieses Geschoss betonen und in einem auffälli­ gen Kontrast zu den flachen Stabwerkprofilen der unteren Etagen ste­ hen. Dass die Fenstergewände der unteren Etagen belassen wurden, mag praktische Gründe gehabt haben, zumal in diesen Etagen auch die Anordnung der Räume und der Fensternischen im Wesentlichen erhalten blieb. Doch könnte die Beibehaltung dieser Gewände auch als Präsentation einer Tradition, der dieses Gebäude und diese Dynas­ tie angehörten, verstanden worden sein. Die älteste aussagekräftige Ansicht des Schlosses nach dem Umbau findet man auf einem Sondershausen–»Prospect« von Johann Alexan­ der Thiele, der das Schloss 1736 von Nordosten zeigt (Abb. 136). 28 Die Kopie einer Schlossansicht auf dem Kopf eines Lehrbriefes von 1751 29 und ein die bauliche Situation aufs Gröbste vereinfachender Holz­ schnitt, der zwischen 1723 und 1747 entstanden sein muss, geben das umgebaute Schloss von Süden wieder (vgl. Abb. 392, 394) . 30 Eine An­ sicht des Schlosses vom Marktplatz, die der Berliner Maler Friedrich August Nothnagel 1856 schuf, zeigt – abgesehen von dem im Vorder­ grund wiedergegebenen spätklassizistische Ensemble aus Schlosster­ rasse, -treppe und -wache – das Schloss im Wesentlichen noch immer in dem baulichen Zuschnitt, den es in den 1690er-Jahren erhalten hatte (Abb. 137). 31 Fotografien aus dem frühen 20. Jahrhundert, aus de­ nen die Hofansicht der »alten« Schlossflügel vor dem Galerieanbau von 1914 ersichtlich ist, geben ebenfalls noch den um 1700 geschaffenen Zustand wieder (Abb. 138). Auf allen diesen Abbildungen treten die Abb. 137 Schloss Sondershausen von Osten, Aquarell von Friedrich August Nothnagel, 1856 (Schlossmuseum Sondershausen S 30). Abb. 138 Schloss Sondershausen, Blick von Westen auf die »alten« Schlossflügel, vor 1914 (Schloss­ museum Sondershausen).

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1