Leseprobe
352 6 Achteckhäuser in Sondershausen Das Achteckhaus im Schlosspark 1 ist nicht nur den Sondershäusern ein Begriff, sondern auch weit über die Stadt hinaus als kulturgeschicht lich bedeutender Gartenpavillon und Aufführungsort von Konzerten bekannt (Abb. 391). Von den Achteckhäusern in Sondershausen hinge gen weiß man heute, sofern man sich nicht mit der Baugeschichte des Schlosses befasst hat, nichts mehr. So mag die Information, dass es im Sondershäuser Schlossbezirk sechs in Dimension und Nutzung ver schiedene Achteck-»Häuser« gab, überraschen. Davon waren drei ei genständige Architekturen, die anderen drei auf Mauerzügen aufge setzte Pavillons. Erhalten ist nur das größte und am prächtigsten aus gestattete dieser Gebäude. Als der »barocke« Schlossumbau am Süd- und Ostflügel in den Jahren um 1700 abklang, wandte sich Fürst Christian Wilhelm von Schwarzburg-Sondershausen der Gestaltung von Parkanlagen zu, die er auf dem Gelände westlich des Schlosses – hinter einem den Schlosshof begrenzenden Reitstall – anlegen ließ (Abb. 392, 394). 2 Hier, wo der Schlossberg nach Norden und Osten ansteigt, wurde auf einer zu diesem Zweck geschaffenen Terrasse ein Lustgarten angelegt, der sich auf dem Gelände des heutigen – klassizistisch geprägten – Lustgartens befand. Auf einer kleineren Terrasse südwestlich darun ter wurde 1702 eine Orangerie (1945 zerstört) errichtet. Auch das den Hang des Schlossberges nach Norden abschließende Terrain, hinter dem das Gelände zum »Lohpark« steil abfällt, wurde begradigt. Hier entstand eine in westöstlicher Richtung verlaufende Mail-Bahn zur Ausübung des gleichnamigen Spiels. Diese Bahn lag auf einem Teil des länglichen Terrains, auf dem später die Reitbahn (um 1770, Er neuerung um 1850, Verlust nach 1945), 3 das Hoftheater (erbaut 1825, 18. 5. 1946 abgebrannt) und der Marstall (1847–1851) errichtet wur den. Unmittelbar westlich des Schlosses gelegen, diente dieses Ge lände der fürstlichen Familie und ihrer Entourage als Promenade, zur Erholung im Freien, aber auch zum Amüsement und zur körperlichen Ertüchtigung durch Spiele. Im Sinne dieser Programmatik wurde 1709 ein weiterer Akzent gesetzt: Am westlichen Ende der Mail-Bahn ent stand ein in den entstehungszeitlichen Renteirechnungen nach seiner Baugestalt als »Achteckhaus« oder »Achteckiges Haus« bezeichnetes Gebäude. 4 Eine andere, ebenfalls entstehungszeitliche Quelle be nennt das Gebäude nach einer seiner Funktionen als »Turnierhaus«. 5 Im Verlauf des 18. Jahrhunderts fanden beide Bezeichnungen Ver wendung. Hingegen ist die sich ebenfalls auf die Funktion des Ge bäudes beziehende Bezeichnung »Karussell« erst im 20. Jahrhundert nachweisbar. 6 Diese Bezeichnung leitete sich von der drehbaren und mit Holzpferden besetzten Fußbodenscheibe ab, die vom Keller aus durch einen Göpel in Bewegung zu setzen war. So diente das als großer Gartenpavillon konzipierte Gebäude als Stätte des Spielens und der Ertüchtigung, aber auch zur Veranstaltung von Hoffestlich keiten. Durch seinen exponierten Standort am oberen Ende des ansteigen den Hanges war das Achteckhaus, wie auch auf historischen Ansichten erkennbar, weithin sichtbar. Auch heute ist es von bestimmten Stand orten in der Stadt und aus der Umgebung als Blickfang wahrnehmbar. Die älteste etwas konkretere Darstellung des Gebäudes findet man auf einem Sondershausen-Prospekt von Johann Alexander Thiele von 1736 (Abb. 394). 7 Das Gebäude ist unter verschiedenen Aspekten bemerkenswert. Zunächst verdient der an den Fassaden dreigeschossig angelegte Pavillon, der in seinem Inneren einen über drei Etagen gehenden großen Raum mit zwei umlaufenden Emporen auf acht Säulen birgt, eine Würdigung als originelle Parkarchitektur. Bezüglich seiner Nut zung als »Karussell«, aber auch als Veranstaltungsort von Hoffest lichkeiten ist das Gebäude kulturgeschichtlich relevant. Vor allem aber geht vom Achteckhaus aufgrund der Ausgestaltung seines Inne ren mit einem Stuckdekor, dem ca. 150 Quadratmeter umfassenden Deckengemälde Triumph der Venus und 32 Grisaille-Gemälden mit emblematischen Motiven, die sich an den Unterseiten der Emporen befinden, die Wirkung eines vielschichtigen barocken Raumkunst werkes aus. Die Sondershäuser Renteirechnungen enthalten zum Bau des Achteckhauses, das als verputzter Fachwerkbau mit zeltförmigem Ziegeldach errichtet wurde, diverse Abrechnungsvermerke, durch die das Baugeschehen zumindest im Groben überschaubar wird. 8 Aus diesen Vermerken ist ersichtlich, dass das Gebäude 1709 in einem Zug errichtet wurde. Die Termine, zu denen die Bauhandwerker Ab schlagszahlungen für verdingte Arbeiten erhielten, lassen auf eine straff organisierte und gut abgestimmte Bauplanung schließen. Ziel war offensichtlich, das Gebäude vom Frühjahr bis in den Herbst des Jahres 1709 bauseitig fertigzustellen. Von Mai bis Juli 1709 wurden Zimmerarbeiten, 9 im Juni und Juli Maurerarbeiten, 10 im Juni Kleiber- und Tüncherarbeiten, 11 Ende Juni Ziegeldeckerarbeiten 12 und von Juni bis September Tischlerarbeiten 13 abgerechnet. Der Architekt wird nicht genannt. Naheliegend ist die Vermutung, dass der schon beim Schlossumbau der 1690er-Jahre nachweisbare Architekt Johann Mützel auch hier gemeinsam mit dem Sondershäuser Bauschreiber Johann Nicol Ludwig wirkte. Abb. 391 Sondershausen, Schlosspark, Achteckhaus, Ansicht von Süden.
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