Leseprobe
412 8 Der Festsaal im Westflügel Ein zweiter Festsaal. Sieben Jahrzehnte nach dem Riesensaal im Süd flügel entstand als repräsentativer Höhepunkt der Sondershäuser Schlosserweiterung der 1760er-Jahre im Westflügel ein zweiter Fest saal. 1 Dieser Saal – vom Hauptgeschoss über längsseitige Emporen auf die Mansarde übergreifend – wurde zu zwei Etagen konzipiert (Abb. 459). Mit einer Fläche von 15,2 × 13,2 Metern und einer Höhe von 8,7 Metern ist er ideal proportioniert. Schon 1909 hatte der Sonders häuser Heimatforscher Günther Lutze befriedigt festgestellt, dass dieser Saal – im Gegensatz zu dem ihm als Raumkunstwerk unverständlichen Riesensaal im Südflügel – in einem »Gleichmaße der Größenverhält nisse« 2 geschaffen worden sei. Die den Saal in Abstimmung aufeinan der prägenden Medien sind die üblichen – ein Stuckdekor, das die Wandflächen gliedert und umspielt, und eine Gemäldeausstattung, bestehend aus einem weitflächigen ovalen Deckengemälde 3 (Kallisto- Mythos) und zwei hochovalen Gemälden an den Schmalseiten des Saales (Venus und Vulkan, Bacchus und Ariadne) . Die innenarchitek tonische Gliederung, die Farbfassung des Fonds, vor allem aber die das Erscheinungsbild des Raumkunstwerkes prägenden Stuckaturen und die Gemäldeausstattung gehen ein stimmiges Wechselspiel ein, das die Wirkung des Saales bestimmt. Die hier vermittelte fürstliche Würde wird von einer wohltuenden Leichtigkeit und Heiterkeit getragen, die sich auch in der Ikonographie widerspiegelt. Das Dekor des Saales wurde symmetrisch konzipiert und wirkt als Gesamtkunstwerk so überzeugend, dass man eine aus den baulichen Gegebenheiten resultierende Unregelmäßigkeit zunächst nicht be merkt. Aufgrund der unterschiedlichen Länge der Längsfassaden des spitzwinklig zum »alten« Schloss angelegten Westflügels stehen die Ostwand des Saales und der diese zum Schlosshof hin überlagernde Schweifgiebel in keinem stimmigen Verhältnis zueinander (vgl. S. 391). Diese Unregelmäßigkeit wurde in der Fassadenansicht und in der Hauptetage des Saales geschickt kaschiert. Im Inneren galt es vor allem über der Ost-Empore Probleme zu lösen, da die Fenster hier nicht mit den Fensteröffnungen des Schweifgiebels in Einklang zu bringen wa ren. So wurden drei der fünf Fenster der Ost-Empore des Saales als von der Norm abweichende Sonderformen ausgebildet: 4 Das süd lichste dieser Fenster wurde an der Fassade zu einem hohen Bogen fenster entwickelt, findet demzufolge im Saal keinen oberen Abschluss. Das Fenster daneben konnte nicht hochformatig angelegt werden. An seine Stelle trat das hier in der Fassade sitzende Rundfenster. Das folgende Fenster, das den Verlauf des Giebelansatzes nachvollzieht, erhielt unten eine Abschrägung. Diese Differenzen wurden je nach Standort des Betrachters zumindest teilweise durch die Emporenbrüs tung verdeckt, betrafen zudem den wenig beachteten Randbereich eines Saales, dessen gestalterische Raffinesse die Aufmerksamkeit an derweitig beanspruchte. Zu würdigen ist die Geschicklichkeit, mit der der Architekt hier den Anspruch auf Regelmäßigkeit am Giebel mit dem auf Geschlossenheit der Wirkung des Saales in Übereinstimmung gebracht hat. Die Emporen sind nur an den Längsseiten funktionell ausgebildet und über die jeweiligen Mansardräume zugänglich. Doch scheinen sie durch eine geschickte Krümmung ihrer seitwärts auslaufenden Partien und deren sich dem Stuck angleichenden Verlauf auf die Schmalseiten des Saales überzugreifen. Die durch breite Profilbänder oval umrissene Rahmung des Deckengemäldes nimmt diesen von den Emporen aus gehenden Schwung optisch auf. Dabei wird der Saal von zwei über Abb. 459 Festsaal im Westflügel, Blick nach Süden.
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