Leseprobe

7 Vorwort Der römische Dichter Ovid – Publius Ovidius Naso – starb der Tradition zufolge Ende des Jahres 17, vielleicht auch erst zu Beginn des Jahres 18 u. Z. So steht 2017 / 2018 der 2000. Todestag von Ovid an. Ein Jubiläum wie »2000 Jahre Ovid« ist weitaus angenehmer und unterhaltsamer zu bewältigen als höchstoffiziell begangene Jubiläen mit gesellschafts- und religionspolitischer Dimension. Es braucht keinen Staatsakt und kein (selbstverständlich strittiges) Konzept zur Indoktrinierung einer breiten Öffentlichkeit. Es braucht nur Interesse und Freude an Ovid – seinen Dichtungen und deren vielfältigen Spiegelungen in den Küns­ ten. So ordnet sich dieses Buch den Aktivitäten zu, die diesem beson­ ders sympathischen Jubiläum gewidmet sind – einem bunten Spekt­ rum neuer Ausgaben von Werken Ovids, neuer Publikationen über Ovid, wissenschaftlicher Tagungen, für ein breites Publikumarrangierter Ausstellungen. In diesem Sinne nimmt das Schlossmuseum Sonders­ hausen in Abstimmung mit der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten seine Verantwortung für die Erhaltung, Erforschung und Vermittlung der Schätze des Schlosses und des Museums wahr. Wenn sich das vorliegende Buch auch in den Kontext des Ovid-Jubilä­ ums stellt, hat es doch einen Anspruch darüber hinaus. Es greift das Ovid-Jubiläum auf, um Gemälde und Stuckaturen »nach Ovid«, die in Raumfassungen des 16. bis 18. Jahrhunderts im Schloss zu Sondershau­ sen (Nordthüringen) besonders markant und als für die Ovid-Rezeption beispielhaft vorkommen, zu präsentieren und auf der Basis einer wis­ senschaftlichen Erschließung erlebbar zu machen. Es geht um die Ver­ mittlung kunst- und kulturgeschichtlicher Werte, die im ehemaligen Residenzschloss der Grafen bzw. Fürsten von Schwarzburg-Sonder­ hausen überliefert, also in einem regionalen Kontext entstanden und verwurzelt, aber überregional bemerkenswert sind. Mit Ovid und Schloss Sondershausen kommen zwei höchst unter­ schiedliche Phänomene zusammen – der »Liebeslehrer« Ovid als einer der bedeutendsten Dichter der Antike und das kunst- und kulturhisto­ risch hochrelevante, aber vergleichsweise abgelegene und noch immer zu wenig gewürdigte Sondershäuser Schloss. Kein Literat der Antike hatte auf die Künste der Nachwelt eine so um­ fassende und zwei Jahrtausende überspannende Wirkung wie Ovid. Seine »Metamorphosen« – Sprachkunstwerk und mythologisches Kom­ pendium – wurden zu einem Standardwerk der antiken Mythologie, aus dem Künstler über Jahrhunderte hinweg Erzählungen und Motive für Gemälde und grafische Blätter, Skulpturen, Stuckaturen und kunst­ handwerkliche Arbeiten ableiteten. Allenfalls die Bibel hatte eine ver­ gleichbar breite und tiefe Wirkung auf die bildenden Künste. Aber auch Literatur, Theater und Musik wurden durch Ovids Werk nachhaltig be­ einflusst. Zudem fanden die Menschen über Epochen hinweg in Ovids Erzählungen die Realität, mit denen sie das Leben und vor allem die Liebe konfrontierte, in einer allgemeingültigen und poetisch reizvollen Verschlüsselung wieder. Ovid hat die Phantasie vieler Generationen angeregt und geprägt. Als bau- und kunstgeschichtlich bedeutendste Schlossanlage in Nord­ thüringen verfügt Schloss Sondershausen über historische Raum­ fassungen von der Renaissance bis zum Historismus. Dieses Schloss ist zudem ein ganz besonderer Ort der Ovid-Rezeption. Auf dem Hausberg der Stadt, dem Frauenberg, an dessen Hang sich das Archidiakonat Jechaburg befand, schuf der Scholasticus Albrecht von Halberstadt um 1210 die erste deutsche Übertragung der »Metamorphosen« des Ovid aus dem Lateinischen. Die im Sondershäuser Schloss nach Motiven aus Ovids Werken gestalteten Raumkunstwerke sind vielfältig und faszinie­ rend. Das Spektrum reicht von »cranachesquen« Wandgemälden des 16. Jahrhunderts über assoziationsreich zu interpretierende Stuckaturen im Knorpelwerkstil des frühen 17. Jahrhunderts bis zum Riesensaal und weiteren hochbarocken Raumdekoren mit einer Vielzahl von Decken­ gemälden aus den 1690er-Jahren. Das 18. Jahrhundert ist durch die großflächigen Deckengemälde »Triumph der Venus« im Achteckhaus (Schlosspark, 1710 / 16) sowie »Arkas und Kallisto« im Festsaal des West­ flügels (um 1770) vertreten. Schließlich dominiert inmitten des Schloss­ hofs ein gewaltiger Herkules (1770), der spektakulärste Heros der Antike, als Brunnenfigur. Diese umfangreiche Publikation könnte den Anschein erwecken, dass damit alles über Schloss Sondershausen gesagt sei. Das Gegenteil ist der Fall. Hier wurde »Ovid« zum Anlass genommen, ikonographische und ikonologische Themen zu vermitteln. In diesem Sinne gibt der Untertitel »Das Schloss und die Bilder« Richtung und Auswahl an. Doch bedurfte dieser Ansatz der Einbettung in einen dynastie- und bauhistorischen Rahmen. Das von diesem Buch erfasste Reservoir an Themen reicht von der Vermittlung der antiken Mythologie über die Mythologie-Rezeption in der bildenden Kunst, landes- und dynastiegeschichtliche Aspekte bis zu dem Anspruch, ein kunsthistorisches Inventar zu wesentlichen Raumfassungen von Schloss Sondershausen zu bieten. Dieses Buch ist keiner Person oder Gruppe von Personen, sondern Schloss Sondershausen an sich gewidmet. Keines der großen Thüringer Resi­ denzschlösser ist im 20. Jahrhundert stärker vernutzt und missachtet worden als dieses Schloss. Der seit Mitte der 1980er-Jahre schrittweise erfolgende Klärungs- und Gesundungsprozess ist erfreulich, bedarf aber – unter schwierigen Rahmenbedingungen – immer wieder der Befeue­ rung. Dieses Buch soll einen vernehmlichen Beitrag dazu leisten. Hendrik Bärnighausen Dresden und Sondershausen 2017

RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1