Leseprobe
116 Borghese nachweisbar, und mit dem Kauf der meisten Skulpturen dieser Sammlung durch Napoleon Bonaparte 1807 gelangte sie zwi- schen 1808 und 1811 in den Louvre. 3 Die Identifizierung dieser Skulptur mit dem römischen Politiker und Philosophen Seneca († 65), der, von Kaiser Nero (37–68) zum Selbstmord aufgefordert, sich selbst die Adern öffnete, muss bald nach Entdeckung der Skulptur erfolgt sein. Sie stützte sich ver- mutlich auf eine gewisse Ähnlichkeit der Ge- sichtszüge mit einem Kopf, der in den letzten Jahren des 16. Jahrhunderts unzutreffend als Seneca-Porträt Bekanntheit erlangte (Kat. Nr. 27). 4 Indem man die ohne Füße aufgefun- dene Figur in einer mit rotem Stein ausgeleg- ten Marmorvase aufstellte, schuf man das Motiv des in der Vase verblutenden Seneca. 5 Peter Paul Rubens (1577–1640) zeichnete die Plastik in Rom und setzte das Motiv ins Ge- mälde um. 6 Erst Johann JoachimWinckelmann (1717–1768) wies in seinen 1767/68 publizier- ten »Monumenti antichi inediti« darauf hin, dass vergleichbare Figuren in verschiedenen römischen Sammlungen aufgrund ihrer Attri- bute keinesfalls als Seneca-Porträt bezeich- net werden können, und hielt sie für Dar stellungen der Rolle des alten Sklaven aus der antiken Komödie. 7 In dem Verzicht auf die Benennung des Braunschweiger Kopfes als Seneca im Inventar H 18 aus den Jahren 1778 bis 1780 könnte sich die Verunsicherung durch die Schrift Winckelmanns widerspie- geln, wenngleich er weiterhin als »Kopf eines Philosophen« geführt wurde. Seit den Forschungen von Ennio Querino Visconti im frühen 19. Jahrhundert trägt die Plastik im Louvre die Bezeichnung »Alter Fi- scher«. 8 Aus der heutigen Zuordnung zur Gat- tung der hellenistischen Genreplastik ergibt sich eine durchweg negative Interpretation des Dargestellten, welcher als Fischer der ver- achteten unteren Schicht angehörte. Große Ohren und starr hervorquellende Augen be- trachteten die Physiognomiker des griechi- schen Altertums in Analogie zu Tieren wie dem Esel oder demSchwein als Zeichen von Dumm- heit, Trägheit und Schamlosigkeit. Die ge- beugte Haltung galt ihnen als Ausdruck eines feigen, sklavischen Charakters. Zur Über raschung und Belustigung fanden Figuren sol- cher Fischer sehr wahrscheinlich an Wasser- becken oder Kanälen hellenistischer Villen Aufstellung. 9 16
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