Leseprobe
320 hunderts und bis in die ersten Jahre des Ersten Weltkriegs. Umfangreiches Quellenmaterial – Akten zur Vorbereitung der Sammlung, die Korrespondenzen zwischen Museumsdirektion und Herzoglichem Staatsministerium sowie die Dokumentation der Erwerbungsvorgänge, die die Museumsdirektoren mit Gie- ßern im In- und Ausland in Kontakt brachten – bildet die Grund- lage der Studie. 4 Sie trägt damit auch einer neuen, seit wenigen Jahrzehnten zu beobachtenden Entwicklung Rechnung, in der die Gipsabguss-Sammlungen generell neue Aufmerksamkeit undWertschätzung erfahren, auch und gerade im Hinblick auf das Verständnis der Abgüsse als Originale ihrer Zeit. 5 Dass die Gipsabguss-Sammlung des Braunschweiger Museums imGegensatz zu anderen amEnde des 19. Jahrhunderts zusammengestellten gerade in dieser Hin- sicht einige Besonderheiten aufzuweisen hat, die daraus resultie- ren, dass sie umdieWende vom 19. zum20. Jahrhundert nicht nur außergewöhnliche Beachtung und ernsthafte Bestandspflege genoss, sondern auch einen Großteil der Ausstellungsfläche im Erdgeschoss des Museumsbaus einnahm, wird imRahmen dieser Untersuchung zu zeigen sein. Ziel dieses Aufsatzes ist es, die Sammlung der Gipsabformungen des Herzoglichen Museums Braunschweig in Erinnerung zu rufen, in ihren wesentlichen Eigenschaften zu charakterisieren und so die Grundlagen für die weitere Erforschung und Auseinandersetzung mit dieser Samm- lung zu schaffen. Vorgeschichte: Motivation und Fakten Die ersten Ideen zur Anlage einer Sammlung von Gipsabgüssen gehen zurück bis in die frühen 1870er Jahre, als Herman Riegel zumMuseumsdirektor ernannt wurde. Schon in der 1873 verfass- ten Denkschrift des Geheimen Archivrats Paul Zimmermann (1854– 1933) waren Überlegungen dazu enthalten und auch Her- man Riegel selbst schlug in seiner im selben Jahr im Zusammen- hang mit demWunsch nach einem Neubau des Museums vorge- legten Denkschrift eine solche vor. 6 Riegel hatte sein Amt 1871 angetreten und fand das Museum, wie er selbst mehrfach ausführlich, unter anderem in genannter Denkschrift darlegte, in einem äußerst desolaten Zustand vor. Dies betraf sowohl das alte Museumsgebäude, das Paulinerkloster am Bohlweg, als auch die Sammlung selbst, deren Systematisie- rung ausstand und die durch die miserablen Bedingungen in den alten Klostermauern Feuchtigkeit und Temperaturschwankungen unweigerlich ausgesetzt war. Darüber hinaus fehlte in diesemzum Museum umfunktionierten Bau schlichtweg der Platz, um in den Augen Riegels eine gute Ausstellung der Bestände gewährleisten und eben deren Systematisierung beziehungsweise Inventarisie- rung durchführen zu können. 7 Die für das Museum zuständige übergeordnete Behörde, das Herzogliche Staatsministerium, von der Idee des Neubaus zu überzeugen und dies auch gegen den Widerspruch des Amtes, das sich zunächst dafür erwärmte, dann aber doch lediglich zur Bewilligung von Geldmitteln für Ausbes- serungsarbeiten bereit war, durchzusetzen, gilt als wichtigstes und wesentliches Verdienst des für seine Hartnäckigkeit bekann- ten Museumsdirektors. 8 Die Erweiterung der Museumsbestände durch eine Sammlung von Gipsabformungen war mit dieser für Riegels Weg so grundlegenden Forderung von Anfang an aufs Engste verbunden. Schon in der ersten Aufstellung des Raumbe- darfs für das zukünftige Museum vom 28. Januar 1873 war Platz für die Gipsabguss-Sammlung eingeplant worden. 500 Quadrat- meter sollten für diese Abteilung zur Verfügung stehen. Das war gut ein Viertel der gesamten zu diesemZeitpunkt avisierten Aus- stellungsfläche. 9 Schließlich nahmen auch die Jahre später vorbe- reiteten Unterlagen für den Architektenwettbewerb umden Neu- bau, das Konkurrenz-Programm vom 29. Juni 1882, diese Anfor- derungen auf. Im ersten Satz heißt es: »Der Neubau soll für die jetzigen Sammlungen des Herzogli- chen Museums sowie für eine neu zu begründende Sammlung von Gypsabgüssen plastischer Kunstwerke in derWeise angemes- senen Raum gewähren, daß die Gegenstände klar, gut erkennbar und übersichtlich aufgestellt resp. aufgehängt, auch die einzelnen Sammlungen in möglichst systematischer kunstgeschichtlicher Aufeinanderfolge angeordnet werden können.« 4 Zu nennen sind an dieser Stelle vor allem die Akten zumMuseumsneubau sowie zur Vorbereitung und Anschaffung der Sammlung, die in der Amtszeit Riegels geführt wurden; diese stellen den größten Teil der erhaltenen Doku- mente dar: HAUM, Altregistratur, Neu 91, Um- und Ausbau des Museums, 1873 – 1876; Neu 92, Schriftstücke das neue Museum betreffend (mit Aus- schluß der Bau- und Rechnungssachen), 1884– 1885, mit ersten Überlegungen zur Einrichtung einer Sammlung von Gipsabgüssen für das Museum; Neu 93, Neubau des Museums, 1868 – 1878; Neu 94, Neubau des Museums, 1871 – 1874; Neu 95, Neubau des Museums, 1872 – 1885; Neu 98, Neues herzogliches Museum. Innere Einrichtung. I. Kostenanschlag, 1884; Neu 99, Neues herzog liches Museum. Innere Einrichtung – II. Beläge, 1884. Außerdem zur Gipsab- guss-Sammlung: HAUM, Altregistratur, Neu 75, Sammlung der Gypsabgüße. Vorarbeiten für die Anschaffung und Einrichtung, 1883 – 1889; Neu 77, Samm- lung der Gypsabgüße, 1886 – 1897; Neu 79 – 81, Erwerbungen der Gypsabgüße, ca. 1888 – 1889; Neu 70, Übernahme von Skulpturmodellen und Abgüssen durch das Museum, 1869 – 1915. Die Schriftdokumente aus der Amtszeit von Paul Jonas Meier sind hingegen in der Akte HAUM, Altregistratur, Neu 76, Sammlung der Gypsabgüße, 1890– 1921, versammelt. | 5 Vgl. z. B. Ausst. Kat. Berlin 2012, S. 307. | 6 Vgl. Riegel 1873, S. 47 – 50. HAUM, Altregistratur, Neu 77, Denkschrift über die Anschaffung einer Sammlung von Gypsabgüssen für das Herzogliche Museum zu Braunschweig, 1887. Darin verweist Riegel auf die Denkschrift Paul Zimmermanns von 1873, die der Verf. allerdings nicht vorlag. | 7 Vgl. die ausführliche Darlegung der Missstände in Riegel 1873, S. 3 –38. Die Denkschrift beginnt mit einer umfassenden Erläuterung dazu, inwelchemZustand sich das Museumsgebäude sowie die Sammlung in dieser Zeit befanden, insbesondere die Feuergefahr war Riegel ein wichtiger Punkt; die Feuchtigkeit in denMauern des ehemaligen Klosters hatte bereits zu Schä- den an den Kunstwerken geführt. Nicht zuletzt aber war die Anordnung der Sammlung, die nach der Restitution durch die Franzosen 1815 in Unordnung gekommenwar, eine ungenügende; zudemherrschte erheblicher Raumman- gel. – Der schlechte Zustand des Hauses war kein Geheimnis. Die Einschät- zungen Riegels dazu flossen auf vielfältige Weise in Berichte an das Herzog liche Staatsministerium, in Stellungnahmen, Beschwerden und letztlich auch in zahlreiche Zeitungsartikel ein; vgl. z. B. HAUM, Altregistratur, Neu 95, Zeitungsartikel, Eine Winter-Expedition in das Museum zu Braunschweig, in: Braunschweiger Tageblatt, 28. 2. 1882; HAUM, Altregistratur, Neu 94, mit
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