Leseprobe
13 KERSTIN GREIN Zur Einführung Die Werke aus Stein imHerzog Anton Ulrich-Museum Unter den großteils nach Material und Topographie gegliederten Bestandsgruppen in den Sammlungen des Herzog Anton Ulrich-Museums bilden die »Steine«, gekennzeichnet mit dem Inventar- kürzel »Ste«, eine ungewöhnlich disparate Gruppe. Vorrangig sind esWerke der Kleinplastik, die hier verzeichnet sind (Abb. 1). Ledig- lich die Büsten, darunter vor allem Porträtbüsten der Braun- schweiger Herzöge, setzen sich als Gruppe davon ab. Andere großformatige Werke fehlen dagegen vollständig und waren zu keinem Zeitpunkt Teil der Sammlung, mit nur einer Ausnahme, der etwas unterlebensgroßen »Liegenden Flora«, die heute als Dauerleihgabe imMuseumSchlossWolfenbüttel ausgestellt wird (Kat. Nr. 75). Darüber hinaus ist das Gros der Skulpturen und Reliefs aus Alabaster gearbeitet, nur wenige Werke hingegen aus Marmor, und es ist nicht zu vernachlässigen, dass auch Arbeiten aus Terrakotta und Gips unter den Steinen inventarisiert wurden. Hinzu kommt, dass in der Sammlung neben Kunstwerken, die sich unter demOberbegriff der Skulptur zusammenfassen lassen, ebenfalls Bilder aus oder auf Stein, Florentiner Mosaik, Scagliola undMalereien auf Stein, zu finden sind, ganz abgesehen von Schalen und Gefäßen oder Architekturmodellen und letztlich sogar Gussformen. Die Zusammenstellung der im Rahmen des Projekts behan- delten Sammlung und besonders auch die Aufnahme von Werk- gruppenwie denMalereien auf Stein, die imVergleich zu anderen Museen überrascht, erklärt sich vor allem über die jüngere Mu seumsgeschichte, namentlich den Einfluss, den Herman Riegel (1834– 1900) auf die Struktur des Museumsbestands ausübte. Systematisierung und Inventarisierung am Ende des 19. Jahrhunderts Als im Jahr 1871 der aus Leipzig kommende Kunsthistoriker Riegel die Leitung des Herzoglichen Museums übernahm, erkannte er zwei Hauptaufgaben, denen er sich in den folgenden Jahren mit besonderer Aufmerksamkeit widmete. Zum einen begann er, einen Neubau für das Museum zu fordern, das im ehemaligen Paulinerkloster am Bohlweg kaum sachgerecht untergebracht war, zumanderenwollte er die Sammlungen systematisieren und neu verzeichnen. 1 Dabei waren beide Aufgaben untrennbar mit- einander verbunden. Zwar erschien bereits 1883, noch zur Zeit der Unterbringung in den ehemaligen Klostermauern, der erste »Führer durch die Sammlungen des herzoglichen Museums«. Aber nach der Einrichtung des Museums im Neubau an der Mu seumstraße 1 wurde 1887 der erste nach demRundgang durch das Haus gegliederte Führer, der zugleich – zumindest auf demGebiet der Skulpturen und Angewandten Kunst – auch die Ansprüche eines neuen Inventars erfüllte, publiziert. 2 Intern hatte Riegel dafür gesorgt, dass mit der Anlage von Zugangslisten für die ver- schiedenen Sammlungsbereiche eine neue Ära der Buchführung auch im Hinblick auf die Sammlungsverwaltung begonnen wer- den konnte. Nach außen und in den Folgegenerationen der Muse- umsverwalter und -kustoden ebenso nach innen wirkten jedoch die Museumsführer Riegels, die bis 1899 mehrfach in neuen Auf- lagen erschienen. 3 Diese »Begleitbücher« waren wie die Ausstellung teilweise nach Materialien und teilweise nach historisch-konzeptionellen Gesichtspunkten gegliedert. Dabei hielten sich die Listen an die Raumverteilung, spiegeln aber nicht – soweit dies heute noch nachzuvollziehen ist – die genaue Aufstellung der Kunstwerke innerhalb der Räume. Riegel vergab neue Nummern für jedes Exponat, die den Listen in den Museumsführern entsprachen. Diese Nummern wurden zudem an den Kunstwerken befestigt. Im Bestand der Steine finden sich zwei Arten von Etiketten, zum 1 Vgl. Riegels Denkschrift zur Errichtung eines Museumsneubaus, Riegel 1873, bes. S. 27 –29 zur Katalogisierung; zur Denkschrift, zu den Umständen des Bauvorhabens und der Bedeutung dieser Phase der Museumsgeschichte vgl. meinen Aufsatz zur Geschichte der Gipsabguss-Sammlung in diesem Band, bes. S. 320–324. | 2 Riegel 1883; Riegel 1887. | 3 Vgl. die Übersicht über die Sammlungsführer in Schütte 1997, S. 264. | 1 Perseus und Andromeda mit Amor, Alabaster, Wolfenbüttel, um 1700, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, Inv. Nr. Ste 15, Kat. Nr. 58, Detail
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