Leseprobe

Biografien 180 Im März 1951 wurde ich mit anderen nach Torgau verlegt, warum, weiss ich nicht. So etwas wurde uns nie gesagt. Wieder ging es zu viert auf die Einmannzelle, aber welches »Paradies«: hier gab es tatsächlich Parkettfußboden, Toilette und flie- ßendes Wasser! Aber sonst blieb alles wie bisher. Die Staatsführung hoffte, wenigstens uns jüngere Gefangene noch für den Sozialismus retten zu können. So wurden wir von den Älteren isoliert und in Jugendzellen zusammengelegt. Jetzt waren wir nicht nur zu viert; […] auf der – größeren – Zelle waren wir circa 16 Menschen. Die politische Schulung wurde schnell aufgegeben, weil unsere Argumente richtiger waren und die intellektuellen Qualitäten unserer »Erzieher« einfach miserabel. Dafür ließ sich die Anstaltsleitung etwas Neues einfallen; wieder wurde aussortiert, diesmal waren die schlimmsten Verbrecher dran, die so- genannten Spione. Das war ich also auch, und wir bekamen zur Unterscheidung von den anderen, den »grünen« Häftlingen, eine rote Binde um den Arm und wurden im Ostflügel, vierte Etage, isoliert. Es sei dabei erwähnt, dass die Anstaltsleitung von den Russen lediglich ein einziges Blatt Papier pro Häftling bekommen hatte; sie hatte praktisch keine Ahnung, warum wir im Knast waren. […] Bis dahin durften wir nicht arbeiten, ab circa Anfang 1952 mussten wir arbeiten. Es begann im »X-Kommando«, das Tarnnetze für die Kasernierte Volkspolizei herstellte, bald kam das »Schrott- kommando« dazu, das im Drei-Schicht-System alten Kriegsschrott, vor allem Flugzeuge, in seine Einzelteile zerlegen musste. Ich kam zum Schrott. Die Arbeitsbedingungen waren schlimm […]. Aber ich lernte jetzt die demokratische Arbeitswelt ken- nen, mit Brigaden und Sozialistischem Wettbe- werb samt der dazugehörigen Wimpel. Ich lernte, was ein Soll ist und wie man sein Werkzeug in »persönliche Pflege« nahm. Nach drei Monaten gelang es meinen Freunden, mich ins »Techniker- Kommando« zu holen, unter dem Vorwand, ich sei Mathematiker und Statiker, also genau der Mann, den man brauche. Jetzt begann ein neues Leben, auch wenn die Bezeichnung »Leben« für das Vegetieren im DDR-Knast nicht so richtig passt. Aber wir hatten uns alle eingefügt und begriffen, dass wir, um überleben zu können, bestimmte Strategien entwickeln mussten. Sehr geholfen hat uns dabei der Zusammenhalt untereinander und die Gewissheit, dass die Ver- brecher auf der anderen Seite der Gitter waren. Nun also »Techniker-Kommando«. Ich wurde der Architekten-Abteilung zugewiesen, wo mich der Brigadier Rudi K. zuerst einmal misstrauisch aufnahm; schließlich musste man sich vor Spitzeln hüten, die von der Vopo eingeschleust wurden. Ich hatte endlich mal Glück. Es stellte sich heraus, dass K. Kunde unserer Lichtpause- rei in Frankfurt gewesen war und seinen ersten Zeichentisch als junger Architekt von meinem Vater geschenkt bekommen hatte! Von jetzt an wurde mein Leben lebenswert. Ich hatte von Technik keine Ahnung, aber meine Freunde taten alles, was für mich wichtig war. Sie sorg- ten dafür, dass ich weiter lernen konnte, be- schafften mir die nötigen Schulbücher unter dem Vorwand, sie bräuchten sie für ihre Arbeit zum Wohl des Sozialismus, halfen mir also, wo immer sie konnten. […] Die äußerlichen Lebensumstände verbesserten sich für mich natürlich auch beträchtlich. Irgend- wann erklärte unser Brigadier Fritz B. den Vopos, dass wir nur produktiv arbeiten könnten, wenn wir täglich Milch bekämen, oder auch Bettwä- sche. Unsere Aufpasser waren bei aller Bosheit auch so dämlich, das alles zu glauben, allerdings auch, weil sie auf unser Kommando angewiesen waren. Schließlich hatte man so viele Intellektu- elle in den Westen vertrieben oder in den Knast gesperrt, dass man wichtige Konstruktionsvor­ haben in den Knast vergeben musste! Heute betrachtet, war das schon eine makabre Situation. […] Drei Jahre war ich im »Techniker-Kommando«. Da wurde doch noch ein Spitzel bei uns einge- schleust, ein gewisser G. Wir schnitten ihn, er gab mir die Schuld für die offene Feindseligkeit aller und »verzinkte« mich. So wurde ich kurz vor Weihnachten 1955 aus dem Kommando abgelöst, wegen Sozialismus-Feindlichkeit. Wenige Tage später wurde ich dennoch entlassen, am 27. De- zember 1955. Auszüge aus einem Erinnerungsbericht von Rudolf Hoffmann, 2004. Archiv Stiftung Sächsische Gedenkstätten/DIZ Torgau

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