Leseprobe

überblick 8 sie zählte in der DDR zu den »bewaffneten Organen«. Dies manifestierte sich unter anderem in der straffen militäri- schen Organisation, die sowohl für die Gefangenen als auch für das Personal galt. Die aufgrund eines von der Volkskammer am 23. Juli 1952 verabschiedeten Gesetzes vollzogene Auflösung der Länder in der DDR – Torgau ge- hörte zum damaligen Sachsen-Anhalt – zugunsten einer neuen territorialen Aufteilung schlug Torgau schließlich dem Bezirk Leipzig zu. Zu den ersten Insassen gehörten 1 500 Gefangene aus dem (in einem früheren NS-Konzentrationslager eingerich- teten) sowjetischen Speziallager Nr. 1 in Sachsenhausen, das im Januar 1950 aufgelöst wurde. Die Häftlinge waren von Sowjetischen Militärtribunalen (SMT) verurteilt und zur weiteren Verbüßung ihrer Haft an die DDR-Behörden übergeben worden. Mit Stand vom 11. April 1953 saßen in Torgau bei einer Ge- samtzahl von 1 844 SMT-Verurteilten 582 Gefangene wegen »Kriegsverbrechen/Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit« und 566 Gefangene wegen »Spionage« ein. 199 waren wegen »antisowjetischer Agitation und Flugblatt- verteilung« verurteilt worden. 4 Den wegen Kriegsverbre- chen Verurteilten wurde unter anderem die Misshandlung von Sowjetbürgern bzw. sowjetischen Zwangsarbeitern vorgeworfen. Auch Beteiligte an dem Massaker von Gar- delegen fanden sich darunter. 5 Der Vorwurf der Mitglied- schaft in der »Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit« (KgU) war einer der Gründe für die Verurteilung wegen »antisowjetischer Agitation«. 6 Die Zahl der von DDR-Gerichten verurteilten Häftlinge war in dieser Zeit gegenüber der von SMT Verurteilten ver- gleichsweise gering. So befanden sich im August 1953 in dem mit 2 100 Häftlingen überbelegten Fort Zinna 1 764 SMT-Verurteilte; 198 Torgauer Gefangene waren nach Arti- kel 6 der DDR-Verfassung von 1949 (»Boykotthetze«) von DDR-Gerichten verurteilt. Auch Angehörige der Glaubens- gemeinschaft der Zeugen Jehovas gehörten dazu. 7 Insge- samt sind die Namen von 221 Zeugen Jehovas bekannt, die in der DDR-Zeit in Torgau inhaftiert waren. 8 Weitere 71 Gefangene wurden als »Wirtschaftsverbrecher« und 51 Häftlinge als »Kriminelle« eingestuft. Neben drei Untersuchungshäftlingen und einem »Sicherheitsver- wahrten« waren außerdem zwölf »201er« – also auf Grundlage des SMAD-Befehls 201 als »aktive Faschisten, Militaristen und Kriegsverbrecher« Verurteilte – in Torgau inhaftiert. 9 Heute werden im Dokumentations- und Informationszent- rum (DIZ) Torgau Schicksale von Gefangenen und die Haft­ umstände in der damaligen Strafvollzugsanstalt (StVA) Torgau in einem eigenen Bereich der ständigen Ausstel- lung »Spuren des Unrechts« dargestellt. Der Strafvollzug der DDR in Torgau (1950–1990) bildet den chronologisch abschließenden Teil der ständigen Ausstellung, die in zwei vorhergehenden Teilen die nationalsozialistische Wehr- machtjustiz, Militärgefängnisse und das Reichskriegs­ gericht sowie die sowjetischen NKWD-Speziallager in Tor- gau dokumentiert. Das DIZ Torgau geht auf eine Initiative des 1991 gegründe- ten gleichnamigen Fördervereins zur Errichtung einer Ge- denkstätte amOrt der ehemaligenWehrmachtgefängnisse Torgau (Fort Zinna und Brückenkopf) zurück. Der Förder- verein hatte sich zum Ziel gesetzt, die Geschichte der Tor- gauer Haftstätten während des NS-Regimes, der sowjeti- schen Besatzungszeit und der DDR zu dokumentieren. Eine erste Publikation zu den komplexen zeitgeschichtli- chen Gegebenheiten an diesem Ort erschien 1993 unter dem Titel »Das Torgau-Tabu« 1 . Darin wurde neben dem Wehrmachtstrafsystem und den NKWD-Speziallagern auch der DDR-Strafvollzug in Torgau beleuchtet. In mehreren Schritten entstand seit 1995 die ständige Ausstellung, die in drei Teilabschnitten die mehrschichtige Vergangenheit des Haftortes Torgau zeigt. 2 Seit 1999 ist das DIZ Torgau Teil der Stiftung Sächsische Gedenkstätten zur Erinnerung an die Opfer politischer Ge- waltherrschaft. Der zentrale Haftort – Fort Zinna – wird heute als Justizvollzugsanstalt des Freistaats Sachsen ge- nutzt. Vor dem heutigen Gefängnis erinnert ein im Mai 2010 eröffneter Gedenkbereich an die Leiden der Opfer der verschiedenen Verfolgungsperioden vor und nach 1945. Strafvollzug der DDR in Torgau Wie die Justiz diente in der DDR auch der Strafvollzug den politischen Zielen der SED. Die Haft sollte den »Schutz der sozialistischen Gesellschaft« vor einer angeblich durch den »Klassenfeind« verursachten Kriminalität gewährleis- ten und die Gefangenen dazu »erziehen, künftig die Ge- setze des sozialistischen Staates einzuhalten« 3 . Die Verantwortung für den Strafvollzug wurde nach Grün- dung der DDR gemäß sowjetischem Vorbild nicht dem Mi- nisterium der Justiz, sondern demMinisterium des Innern übertragen. Zuständig für die 1950 eingerichtete Strafvoll- zugsanstalt Torgau war die Deutsche Volkspolizei (DVP);

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