Leseprobe
9 genen in der Strafvollzugseinrichtung Torgau seit mehre- ren Jahren […] relativ schwach entwickelt« sei. 15 Durch die Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei, die wiederum ein eigenes Spitzelsystem betrieb, seien dennoch »alle opera- tiv bedeutsamen Vorkommnisse […] aufgeklärt« 16 worden. Vor dem Inkrafttreten des Strafvollzugs- und Wiederein- gliederungsgesetzes am 1. Juli 1968 17 galten für die Durch- führung des Strafvollzugs lediglich interne Verwaltungs- vorschriften. Seit 1968 waren alle Gefangenen einer von drei gesetzlich geregelten Haftkategorien zugeordnet. Es gab den erleichterten, den allgemeinen und den strengen Vollzug, deren Unterschiede sich in der Unterbringung, der Beaufsichtigung sowie beispielsweise der Arbeitsentloh- nung bemerkbar machten. Als vierte Kategorie kam 1974 noch der verschärfte Vollzug hinzu. Das Gesetz stellte den Gedanken der Erziehung der Gefangenen heraus. Ziel des Strafvollzugs in der DDR generell sollte sein, »den Tätern und anderen Bürgern die Schwere und Verwerflichkeit der Straftat und die Unantastbarkeit der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung bewusst« zu machen sowie die Gesellschaft vor weiteren Straftaten zu schützen. 1977 revidierte man die gesetzliche Grundlage erneut: Das Strafvollzugsgesetz (StVG) 18 sowie zwei Durchführungsbe- stimmungen wurden in Kraft gesetzt und die Wiederein- gliederung in einem eigenen Gesetz (WEG) formuliert. Zudem erging auch die Strafvollzugsordnung (SVZO). Der Strafvollzug verstand sich nunmehr als »Einheit von Si- cherheit, Erziehung und Ökonomie«. Er zielte auf die strikte Durchsetzung der politischen Vorgaben der SED und der wirtschaftlichen Planerfüllung mittels der »sozialistischen Gesetzlichkeit«. Diese Regelungen galten bis 1990. Bis 1975 wurden in Torgau auch jugendliche Strafgefan- gene inhaftiert. Die Jugendstrafvollzugsanstalt – offiziell als »Jugendhaus Torgau« bezeichnet – befand sich mit Unterbrechungen in den frühen 1950er Jahren bis 1963 im Haftgebäude Fischerdörfchen 15, einem vormaligen Ge- richtsgefängnis, und wurde dann in den Westflügel von Fort Zinna verlegt. 19 Überbelegung und unzureichende hy- gienische Verhältnisse prägten auch den Jugendstrafvoll- zug in Torgau. Interne Untersuchungen aus den Jahren 1963 und 1972 gegen Strafvollzugsbedienstete deuten darauf hin, dass in dieser Zeit Misshandlungen von ju- gendlichen Strafgefangenen häufiger vorkamen als im Strafvollzug an Erwachsenen. 20 Der Jugendstrafvollzug in Torgau wurde 1975 schließlich aufgegeben, weil die ge- setzlich vorgeschriebene strikte Trennung von erwachse- nen und jugendlichen Strafgefangenen wegen der bauli- chen Gegebenheiten in Fort Zinna nicht ausreichend ge- währleistet werden konnte. Vor der Auflösung der Jugend- strafvollzugsanstalt befanden sich am 7. Juli 1975 noch 457 Jugendliche in Haft. 21 Mindestens 241 ehemalige Internierte der sowjetischen Speziallager in Deutschland, die 1950 in den Waldheimer Prozessen durch ein DDR-Gericht verurteilt worden waren, saßen in Torgau ein. 10 Sowohl die Waldheim- als auch die SMT-Verurteilten wurden mit wenigen Ausnahmen bis 1956 aus der Haft in Torgau – ebenso wie andernorts – entlassen. Während des Volksaufstands vom 17. Juni 1953 versuchten Demonstranten, einige DDR-Gefängnisse zu stürmen und die Häftlinge zu befreien, wie in den Haftanstalten »Roter Ochse« in Halle (Saale) oder in Brandenburg (Havel). In Torgau fand dergleichen jedoch nicht statt. Mit Verzöge- rung verbreitete sich aber die Nachricht von den Protesten unter den Gefangenen, die die Unruhe innerhalb des Ge- fängnisses spürten: Die Hofgänge wurden daraufhin für einige Tage eingestellt und die politischen Gefangenen konzentriert in einem Flügel des Kreuzbaus unterge- bracht. 11 Wie in anderen Gefängnissen besserten sich da- nach in Torgau die Haftbedingungen geringfügig, wenn auch nur für wenige Monate. 12 Im Zusammenhang mit dem 17. Juni Verurteilte waren danach ebenfalls in der Haftan- stalt Torgau inhaftiert. In den 1950er und 1960er Jahren wurden zahlreiche aktive Gegner der SED-Politik, die von DDR-Gerichten verurteilt waren, in Torgau gefangen gehalten. Nach dem Bau der Berliner Mauer im August 1961 war der Anteil politischer Häftlinge am höchsten. Die Existenz von politischen Gefangenen in der DDR wurde von den Verantwortlichen offiziell stets geleugnet, obwohl es eine große Anzahl von Straftatbeständen gab, nach denen Menschen wegen »Staatsverbrechen« und anderen politischen Delikten verurteilt wurden. 13 Die in der Ausstel- lung präsentierten Biografien ehemaliger Insassen ver- deutlichen die Bandbreite an Haftgründen. Politische Häftlinge standen besonders im Visier des Mi- nisteriums für Staatssicherheit (MfS), das versuchte, jegli- che Form von Gefangenenprotest, den es auch in Torgau gab, zu unterbinden. Im Strafvollzugsbetrieb waren Inoffi- zielle Mitarbeiter (IM) des MfS eingesetzt, die durch ihre Spitzeldienste das Vertrauen der Gefangenen untereinan- der zerstörten, aber auch für Misstrauen unter dem Straf- vollzugspersonal sorgten. In den 1980er Jahren hatte das MfS jedoch wegen einer veränderten Zusammensetzung des Gefangenenbestands Schwierigkeiten, geeignete IM unter den Gefangenen zu werben. Wegen des allgemein geringen Bildungsniveaus unter den überwiegend krimi- nellen Häftlingen hätte es nicht genügend geeignete Kan- didaten gegeben. So hatte das MfS 1980 nur insgesamt drei IM in der Haftanstalt Torgau. 14 1986 klagte ein Stasi- Mitarbeiter, dass »die inoffizielle Basis unter Strafgefan-
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MTMyNjA1