Leseprobe

72 Das Pretioseninventar des Grünen Gewölbes von 1725 Das am 5. Januar 1725 besiegelte Pretioseninventar verzeichnet erst­ mals die damals von August dem Starken imGrünen Gewölbe ver­ sammeltenWerke der Schatzkunst, wobei der Bestand der Juwelen und die reinen Silberarbeiten in gesonderten Inventaren erfasst wurden. 7 Neben demHofsekretär ChristophWeigelt war dafür der Hofjuwelier Johann Heinrich Köhler verantwortlich, der seine um­ fangreichen Restaurierungsarbeiten am25. August des vorangegan­ genen Jahres beendet hatte. Insbesondere hatte er sich dabei die von der Kunst- in die Schatzkammer transferiertenWerke mit Konchy­ lien, Perlmutterdekor und Nephrit vorgenommen, die er verschie­ densten Restaurierungsmaßnahmen unterzog (s. Kap. III.1 sowie Anhang 2). Vergleicht man die auf Köhlers Rechnung aufgelisteten Stücke, die eine Farbfassung erhielten, mit den entsprechenden Ein­ trägen in dem nur wenige Monate später abgeschlossenen Inventar, so stellt man fest, dass dort die Bemalungen nur in Ausnahmefällen Erwähnung finden. Dies ist umso verwunderlicher, da Köhler als Ver­ fasser des Inventars fungierte. Manmuss daher annehmen, dass auch bei manchenObjekten, die KöhlersWerkstatt nicht durchliefen, Farb­ fassungen vorhanden waren, die im Inventar unerwähnt bleiben. Besonders bemerkenswert erscheint die Beschreibung eines Ko­ kosnusspokals: »mit bunden Farben eingelassen à l’antique« – ein expliziter Hinweis darauf, dass es sich um eine historische Kolorie­ rung handelt, die imÜbrigen auch bereits imKunstkammerinventar von 1640 erwähnt wird. 8 Dies mag implizieren, dass das polychrome Erscheinungsbild als typisch für derartige Objekte des 16. Jahrhun­ derts betrachtet wurde. Das 1572 in Amsterdam entstandene und aufwendig gearbeitete Gefäß war – im Gegensatz zu allen anderen Kokosnusspokalen – nicht in der Kunstkammer verblieben, sondern vor 1725 in das Grüne Gewölbe verbracht worden. Die Silberinventare des Grünen Gewölbes von 1723 und 1733 Auch in den Inventaren, in denen 1723 und 1733 die reinen Silber­ arbeiten – also diejenigen ohne Naturalien – erfasst sind, werden Farbfassungen genannt. 9 Mehrfach begegnet man hier den bereits erwähnten Deckelbekrönungen von Traubenpokalen (den soge­ nannten Schmecks) 10 sowie farbig gefassten Naturabgüssen, bspw. auf dem Sockel eines Hirsches und eines Heiligen Georgs als Dra­ chenkämpfer (Abb. 2). 11 An Letzterem ist zudemdie »rothe echabera­ que« amPferd hervorzuheben – eine Farbfassung, die sich in Resten von opakem Rot und Weiß am Harnisch des Ritters und in Grün und Rot unter den Drachenflügeln erhalten hat (Abb. 3). Beachtung verdient auch der große Akeleipokal des Dresdner Meisters Georg Mond, der im Inventar von 1723 aufgeführt wird als ein »silbern vergoldter bassigter Pocal mit allerhand bunden Farben emaliret, […] auf deßen Deckel stehet ein Römischer Kriegs Held mit Farben gleichergestalt emaliret«. 12 Die hier fälschliche Beschrei­ bung einer Emaillierung ist bereits imdarauffolgenden Inventar des Silbervergoldeten Zimmers von 1733 korrigiert worden (»mit aller­ hand (bunten) Farben eingelaßen«). 13 Diese Farbfassung muss ur­ sprünglich den Gesamteindruck maßgeblich bestimmt haben, wie die grüne Bemalung am Blattkranz unter der Kuppa sowie die an mehreren Stellen erhaltenen kleinen Reste von Grün und Weiß na­ helegen. Ein Versehen dürfte auch bei dem Inventareintrag zu dem üppig emaillierten, aus purem Gold gefertigten Weißenfelser Jagd­ pokal von Georg Christoph Dinglinger vorliegen, der 1733 nicht nur als »emaillirt«, sondern auch als »mit bundten farben eingelaßen« beschrieben wird. 14 Insgesamt fällt auf, dass Farbfassungen lediglich auf den als »alt« bezeichneten Objekten des 16. und 17. Jahrhunderts vorkommen, nicht jedoch auf den in augusteischer Zeit angeschafften »modernen« Stücken im Régence-Stil. Auch handelt es sich bei den gefassten Goldschmiedewerken, mit Ausnahme der mit Schmecks bekrönten Traubenpokale, um ausgesprochen prunkvolle Einzelstücke. Wie in den früheren Inventaren kommt es auch hiermitunter zu Irritationen bei der Unterscheidung zwischen Emaildekoren und Farbfassungen. Kategorisierung der erwähnten Farbfassungen Die Auswertung der Inventare der Kunstkammer und des Grünen Gewölbes lässt erkennen, dass der gestalterische Einsatz der Farb­ fassungen bevorzugt ganz bestimmte Partien der Objekte betraf. Naturabgüsse Auffallend häufig verzeichnet werden kleine applizierte Tiere, so etwa bei einemHirschmit Korallenzinken, der »ufn fuß 2 heydexen und eine grasemücke von farben eingelaßen« besessen hat. 15 Blieben diese unbemalt, wird dies meist explizit in den Inventaren erwähnt, etwa bei dem großen Stehenden Löwen des Nürnberger Meisters Urban Wolff, wo von »allerhand weiße[m] Ungeziefer« die Rede ist. 16 Es handelt sich dabei wie bereits erwähnt um Naturabgüsse von Tieren und Pflanzen, wie sie in der zweiten Hälfte des 16. Jahr­ hunderts im Kreis um den Nürnberger Goldschmied Wenzel Jam­ nitzer entwickelt wurden und schnell Verbreitung fanden (s. dazu ausführlich Kap. V.3). 17 Deckelbekrönungen Ebenfalls häufig trifft man in den Inventaren auf farbig gefasste De­ ckelbekrönungen in Gestalt eines Blumenstraußes, des sogenann­ ten Schmeck, so bspw. bei einer Reihe von Kokosnusspokalen im Inventar der Kunstkammer von 1640, die dort als »streuslein von farbichten blumwergk« beschrieben sind (s. auch Kap. IV.3). 18 Be­ sonderer Beliebtheit erfreuten sich diese »bunte[n] Blumen-Bou­ quet[s]« auf den Deckeln von Traubenpokalen, wie die zahlreichen Beispiele in den Silberinventaren von 1723 und 1733 zeigen. Wie bei den eben erwähnten Tierenwird auch hier meist von einem »weißen Blumen Busch« gesprochen, wenn keine Kolorierung vorliegt. 19 Diese Unterscheidung gibt es auch bei den sogenannten Silberzetteln der Stadt Nürnberg aus dem Jahr 1613. 20 Im Konvolut der dort aufgelis­ teten Goldschmiedearbeiten, welche die Nürnberger Goldschmiede demRat der Stadt verkauften und diesem als eine Art Geschenkde­ pot dienten, sind vornehmlich Buckelpokale verzeichnet, die ent­ weder einen figürlichen Deckelaufsatz oder aber einen Schmeck besaßen. In den meisten Fällen waren diese »mit Farben gemahlet«, seltener werden sie als »geschmelzte Streußlein« bezeichnet. Zwei im Grünen Gewölbe erhaltene Exemplare weisen umfang­ reiche Reste dieser Kolorierung auf, die belegen, dass es sich umeine differenzierte Bemalung der einzelnen Blüten mit verschiedensten Farben gehandelt hat (s. Abb. S. 92 f.). 21 Einen Eindruck davon ver­ mittelt der in einem Stillleben von Georg Flegel dargestellte Trau­ benpokal mit seiner prachtvollen Bekrönung (s. Abb. Frontispiz sowie Abb. 10, S. 88). Etwas schematischer ausgeführt darf man sich die ehemals »grün eingelaßenen silbern rauten streuchen« an dem

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