Leseprobe

53 Magistrale und Zentraler Platz Ein unverzichtbares Element aller künftigen Stadtzentren in der DDR bildeten die Magist- rale, die Hauptstraße der Stadt, und der Zentrale Platz für die politischen Manifestationen, für Feiern und Volksfeste. Der Zentrale Platz war für gesellschaftliche Bauten reserviert und bestimmte die architektonische Komposition des Stadtzentrums. Der Karl-Marx-Platz ent- sprach hinsichtlich der Lage, seiner Größe und seiner Funktion im Stadtbild diesen Anfor- derungen. Seine Bebauung nahmmehr als drei Jahrzehnte in Anspruch, vom Baubeschluss zum Opernhaus 1950 bis zur Einweihung des Gewandhauses 1981, und zeigt alle Facetten von Architektur und Städtebau in der DDR. Ebenso konnte der Promenadenring zur Magis- trale, dem Raum für »fließende« Demonstrationen ausgebaut werden. Im Unterschied zu anderen Städten blieben Leipzig dadurch Veränderungen am Stadtgrundriss erspart. Der weitgehend zerstörte südliche und östliche Abschnitt des Promenadenrings bildete einen Schwerpunkt der Wiederaufbauplanung. Dabei besaß das 1927 von Hubert Ritter (1886–1967) entwickelte Konzept einer Ring-City – gedacht als Kranz von Hochhäusern um den Altstadtkern – auch für den künftigen Ausbau zur sozialistischen Magistrale starke Anziehungskraft, denn es ließ sich mit neuen Inhalten füllen. Zukünftig sollten nicht Geschäfts- und Messehäuser, wie in der älteren Planung, sondern Wohngebäude das Gesicht des Ringes prägen. Die monumentale Ausgestaltung des Promenadenrings begann 1953 nach dem Muster der Berliner Stalinallee mit der Ringbebauung am Roßplatz. Die machtvolle Geste des sieben- und zehngeschossigen Ringsegments und die reiche Verwen- dung von Travertin gaben dem Wunsch nach Dauerhaftigkeit – der Bauten wie der Gesell- schaft – Ausdruck, während der Fassadendekor den Anschluss an die Leipziger Bautradition herstellen sollte. Großstädtische Atmosphäre schufen die Läden in den Erdgeschossen und das opulent ausgestattete Ring-Café mit über achthundert Plätzen auf zwei Etagen. Drei städtebauliche Wettbewerbe in den Jahren zwischen 1952 und 1954 für die weiteren Bauab- schnitte blieben ohne Folgen, weil sich die Planinhalte ständig änderten. Die Wilhelminischen Geschäftshäuser, Banken und öffentlichen Gebäude am Karl-Marx- Platz sowie im weniger stark beschädigten Nord- und Westabschnitt des Promenadenrings bildeten mit ihrem konventionellen Erscheinungsbild wichtige Bausteine bei der Bewahrung der lokalen und damit der nationalen Eigenart des Stadtbildes. Gleichzeitig ließ sich der repräsentative Charakter dieser Architektur für eigene politische Zwecke nutzen – so erhielt das 1894–1896 erbaute Grassimuseummit demUmbau zum Konstruktions- und Ingenieur­ büro Chemie eine neue Bestimmung. √ Städtebauliche Planung der Stadt Leipzig, bestätigt vom Ministerium für Aufbau 1952, Leipzig Zentrum – Zentraler Bezirk, Aufbauplan, Dezernat Aufbau, Abteilung Stadtplanung, 14. Juli 1952, Fotokopie mit farbigen Ein­ zeichnungen Demonstrationsplan, Dezernat Aufbau, Abteilung Stadtplanung, 14. Juli 1952, Fotokopie mit farbigen Einzeichnungen

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