Leseprobe

85 Perspektiv- und Generalplanungen Ende der 1950er Jahre wurde das Bild der Innenstadt von wiederaufgebauten historischen Gebäuden, von Kriegslücken, gesicherten Ruinen und zahlreichen Behelfsbauten bestimmt. Das Opernhaus stand vor der Eröffnung, am Roßplatz war der Anfang zu einer Neugestal- tung des Promenadenrings gemacht, innerhalb des Stadtkerns mit demMessehof aber nur ein einziger Neubau zur Ausführung gekommen. Chefarchitekt Walter Lucas musste 1960 einräumen, es sei in Leipzig viel, aber viel zu wenig im Stadtzentrum gebaut worden. Die SED-Führung forderte, »an Stelle des Baus von zahlreichen Messeprovisorien zum syste- matischen Wiederaufbau der teilzerstörten Innenstadt« überzugehen. Der dafür nach dem V. Parteitag der SED 1958 aufgestellte neue »Perspektivplan für das Stadtzentrum« aus dem Jahr 1959 bedeutete das Ende der auf Erhaltung und Traditions- wahrung orientierten Stadtplanung der Nachkriegszeit und ersetzte den Plan von 1949. Nach einem weitgehenden Abbruch der historischen Bausubstanz war die Errichtung stark aufgeweiteter Verkehrsflächen am Ring und neuer Solitäre in der Altstadt vorgesehen. »Aus- gangspunkt der Stadtplanung« – so beschrieb der Stadtarchitekt Walter Lucas die Bedin- gungen – »ist nicht mehr der alte Bestand, seine Verbesserung und Ergänzung, sondern die Perspektive der künftigen Entwicklung. Bestimmend ist das Neue, dem das Alte sich einordnen oder Platz machen muss« [Walter Lucas: Der Aufbau des Stadtzentrums von Leipzig. In: Deutsche Architektur, Heft 9, September 1960, S. 477]. Die Deutsche Bauaka- demie lobte die Planung. Nun sei es möglich, erläuterte Vizepräsident Edmund Collein (1906–1992), die Prinzipien des sozialistischen Städtebaus nicht nur in dem räumlichen Ensemble des Rings anzuwenden, sondern auch den Kern der Stadt einzubeziehen. Nach der Gründung eines Büros des Chefarchitekten (BCA) unter der Leitung von Horst Siegel im Herbst 1967 wurde bis 1970 ein neuer Generalbebauungsplan erarbeitet und im Frühjahr 1970 in einer Ausstellung in der »Leipzig-Information« der Öffentlichkeit vorge- stellt. Er enthielt erstmals langfristige Zielvorgaben für die räumliche und bauliche Entwick- lung der gesamten Stadt. Dabei ging das BCA davon aus, dass die »Stadtstruktur« – gemeint war die geschlossene Blockbebauung in den Stadterweiterungsgebieten des 19. Jahrhunderts – »verändert«, d. h. abgebrochen, aufgelockert und durch Neubauten ersetzt werden müsse. Jetzt bildete nicht mehr die kompakte Stadt des 19. Jahrhunderts, ihre Ergänzung und moderate Anpassung den Ausgangspunkt, wie im Plan aus dem Jahr 1952, sondern die Vorstellung aufgelockerter, »fließender« Stadträume. √ Prognose-Strategie-Modell für den Generalbebauungs- plan 1970, Modellfoto

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