Leseprobe

11 Verdrängung und Bewahrung Im April 1945 hatte die amerikanische Besatzungsmacht den früheren SPD-Stadtverordne- ten Walther Beyer (1885–1966) zum ersten Stadtbaurat der Nachkriegszeit bestimmt. Von einem nüchternen Pragmatismus geleitet, konzentrierte Beyer die verfügbaren Kräfte auf die Trümmerbeseitigung, auf die Wiederherstellung der zerstörten Wohnungen und Fabri- ken sowie auf die Instandsetzung der städtischen Infrastruktur. Visionären Planungsideen von einer grundlegenden Neuordnung der Bebauung, wie sie anderenorts diskutiert wurden, trat Beyer entgegen. Allerdings erforderte eine langfristige Perspektive die Beschäftigung mit Fragen, die sich über alle politischen Umbrüche hinweg seit den zwanziger und dreißiger Jahren aus der Stadtentwicklung ergeben hatten – nach der Trennung der Funktionen, nach den künftigen Richtungen der Stadterweiterungen für Industrie- und Wohnungsbau angesichts des näher rückenden Kohleabbaus oder nach der künftigen Organisation des Verkehrs. Mit seinem Vorschlag, an Stelle der zerstörten Johanniskirche ein Mausoleum über dem Grab Johann Sebastian Bachs zu errichten, wollte Beyer nach Schuld und Niederlage für ein neues, humanistisches Deutschland werben. Wie in anderen Städten wurden auch in Leipzig unmittelbar nach Kriegsende wichtige Monumente der Stadt für den Wiederaufbau gesichert. Von den 141 Denkmalen im Verzeichnis des Landesamtes für Denkmalpflege waren 63 total, 31 schwer und mittelschwer beschädigt. Der wichtigste Impuls für die Erhaltung des Leipziger Stadtbildes ging im März 1946 vom Befehl der Sowjetischen Militäradministration zur Neubelebung der Leipziger Messe aus. Die Entscheidung für den historischen Standort und für den Wiederaufbau der zum Teil schwer beschädigten innerstädtischen Messehäuser hat die urbane Eigenart des Leipziger Stadtzentrums bis heute bewahrt. Der »Messehof«, der erste Neubau der Nachkriegszeit im Stadtzentrum, schloss sich mit seiner konservativen Fassadenbildung nahtlos an die Messehausarchitektur der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg und der zwanziger Jahre an. Die Phase des Wiederaufbaus endete um 1960. Danach wurden kaum noch Wiederaufbau- vorhaben ausgeführt.

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