Leseprobe

64 Generation der Expressionisten, die nur einige Monate zuvor die Dresdner Sezession – Gruppe 1919 gegründet hatten, waren hingegen in der Sommerausstellung der Künstlervereinigung nicht mehr präsent. 5 Dies war die Konsequenz aus einer Bestim- mung, die sich die Gruppe in ihrem Statut selbst auferlegt hatte. Demnach war es Mitgliedern nicht erlaubt, anderen Dresdner Künstlerverbänden anzugehören, und man wollte künftig in Dresden nur noch als Gruppe ausstellen. Daraus lässt sich schließen, dass Grohmann der Sezession 1919 im Frühsommer des Gründungsjahres offensichtlich noch nicht angehörte, weder als Künstler noch als der Organisator und »Herold«, als der er wenig später in Erscheinung treten sollte. Nach Abschluss seines Studiums mit einer Promotion im Fach Germanistik begann Grohmann 1914, am Dresdner König-Georg-Gymnasium als Lehrer zu arbeiten; ein vorübergehender Kompromiss im Sinne eines sicheren Brotberufs, wie er damals noch glaubte. Seine Leidenschaft galt eigentlich bereits damals vielmehr der Kunst, mit der er sich in praktischen und theoretischen Studien auseinandersetzte. 6 Abwägend zwi- schen einem absehbar brotlosen Künstlerdasein oder einer ebenso realitätsfernen Orientierung in Richtung des klassischen Berufsfeldes eines Kunsthistorikers – der er seiner Ausbildung nach ja ebenfalls nicht war –, spielte er spätestens seit 1919 ge­ danklich immer wieder mögliche Ausstiegsszenarien aus dem Lehrerberuf durch. Unabhängig von dieser beruflichen Entscheidung zählte Grohmann, der bereits der Gruppe 1917 und demKreis um die spätere Sezession nahegestanden hatte – sowohl, was eigene künstlerische Ambitionen anbetraf, als auch imHinblick auf seine kunst- theoretische Vermittlungspraxis –, zu den überzeugten Verfechtern des Expressio- nismus. Dies dürfte ebenso die Basis dafür gewesen sein, dass er sich für die Sezes- sion 1919 engagierte. 7 Allerdings zeigte sich innerhalb der Gruppe schon bald, dass weder die Einigung auf eine künstlerische Richtung im Sinne eines Gruppenstils noch eine einseitig linksradikale politisch-ideologische Ausrichtung konsensfähig waren. Darüber hinaus fehlte es der Sezession an einer konzisen Programmatik, das heißt einer längerfristigen Strategie, wie sie etwa die Novembergruppe in Berlin entwickelt hatte und auf deren Grundlage Letztere sich kulturpolitisch mit einem gewissen Erfolg durchsetzen konnte. 8 Stattdessen zeigte sich sehr bald, dass allein der Wunsch nach einem Ausbrechen aus den konservativen, von der Akademie gesteuerten Dresdner Kunstverhältnissen unter dem im Statut postulierten Hauptgrundsatz »Wahrheit – Brüderlichkeit – Kunst« nicht ausreichen würde, um die Gruppe auf längere Sicht zusammenzuhalten. Auch die unterschiedlichen biografischen Prägun- gen der Mitglieder durch den Ersten Weltkrieg standen einem programmatisch-strategischen Konsens letztlich imWege. Die Mehrzahl der Sezessionskünstler hatte Kriegsdienst geleistet, während Will Grohmann, wie Felixmüller und Otto Lange, davon verschont geblieben war. Von dem kollektiven radikalen Gründungselan der Sezessionisten, »die in Dresden als Expressionisten etwas zu geben haben«, 9 war wegen der individuellen Orientierungen der Künstler, die im Grunde alle ums öko- nomische Überleben kämpften, schon bald nicht mehr viel zu spüren. Nicht zuletzt zerfaserte die Gruppe durch den Mangel an gemeinsamen Zielen. Bereits vor der Gründung der Sezession hatte Grohmann einen engeren persönlichen Kontakt zu späteren Mitgliedern, erst als selbst praktizierender Künstler und zuneh- mend auch als Autor. Für Lasar Segall etwa verfasste er 1918 einen einführenden Text zu dessen Mappe »Die Sanfte« mit Lithografien nach Dostojewskis gleichnami- ger Novelle. Grohmann beschrieb die einzelnen Blätter sehr präzise und einfühl- sam. 10 Die enge Bindung an Künstler, als deren Interpret er sich mit Einfühlungsver-

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