Leseprobe

67 Berlin«, mit der Begründung, dass alle vier bewiesen hätten, dass »sie unsre Zeit und ihren Ausdruck verstehen und daß sie für das neue Schaffen eintreten«. 17 Inwieweit Grohmann infolge dieser Personaldiskussion schon zu diesem Zeitpunkt darüber nachdachte, ob jene Stellung nicht auch für ihn erstrebenswert sei, kann nur vermu- tet werden. Sicher ist, dass er spätestens seit Mitte der 1920er Jahre eine solche berufliche Option ernsthaft ins Auge fasste und immer wieder – erfolglos – ver- suchte, sich für entsprechende Museumsstellen ins Gespräch zu bringen. Grohmann bemühte sich, durch öffentliche Vorträge ein breiteres Publikum für die Sezession 1919 und den Expressionismus zu interessieren. Ende Juni gelang ihm das mit einemVortrag unter dem Titel »Vom Erleben expressionistischer Bilder«, der vom Sächsischen Künstlerhilfsbund organisiert worden war. Für seine offensichtlich über- zeugenden Ausführungen erntete er am Ende »lebhaften Beifall«, und vom Bericht- erstatter der Dresdner Nachrichten wurde ihm bescheinigt, dass der Abend »für viele ein dauernder Gewinn« gewesen sei. 18 Neben dieser kunstpädagogischen Sekundanz für die Gruppe versuchte Grohmann bald, sich auch organisatorisch einzubringen. Ihm und einigen der Mitglieder war inzwischen klargeworden, dass mit dem Sezessionsgedanken zugleich die Gefahr einer Isolation der Künstler verbunden war, der es entgegenzuwirken galt. Grund- sätzlich bestand ein über die Sezession 1919 und andere Einzelgruppen hinaus­ gehender Zielkonflikt. Einerseits wurde in programmatischen Äußerungen ständig der Topos von der Notwendigkeit eines Zusammenschlusses der fortschrittlichen Künstler artikuliert, zu welchen man sich selbst zählte. Andererseits aber stand der Sezessionsgedanke einem solchen Zusammenschluss frontal entgegen. Ursprünglich bemühte sich Grohmann deshalb weiterhin um eine intensivere Zusammenarbeit mit der Künstlervereinigung Dresden, so etwa für die zweite Ausstellung der Dresd- ner Sezession. Doch konnte er sich mit diesem Vorschlag nicht durchsetzen. Letztlich stellte die Sezession im Juli 1919 dann doch separat in der Galerie Richter aus. 19 Ohne Frage hätte die mittlerweile durchaus reformoffene Künstlervereinigung Dres- den, damals noch mit Otto Gussmann an der Spitze, gut zur Sezession 1919 gepasst, doch offensichtlich scheiterte diese nicht nur von Grohmann angestrebte Koopera- tion letztlich daran, dass der Sezession nicht die von ihr geforderte Juryfreiheit zuge- standen wurde. 20 Im Herbst 1919 gründeten Alfred Günther, Hugo Zehder, Will Grohmann und Lasar Segall die sogenannte Arbeiter-Kunst-Gemeinschaft, mit dem Ziel, ein an die Arbei- terschaft gerichtetes kulturelles Bildungsangebot zu entwickeln. 21 Inzwischen hatte Grohmann seine Perspektive erheblich erweitert; ab der Jahreswende 1919/20 könnte man ihn mit einiger Berechtigung als eine Art Botschafter für den Expressio­ nismus bezeichnen. Im Programm der Ausstellung der Sezession 1919 in der Kunst­ hütte Chemnitz 22 wiederholte er am 18. Oktober 1919 seinen Vortrag »Vom Erleben expressionistischer Bilder« und bot darüber hinaus eine Führung durch die Ausstel- lung an. 23 Wenige Tage später sprach er in Dresden auf Einladung des Literarischen Vereins zum Thema »Was ist Expressionismus?«. 24 Gleichzeitig hatte sich der persönliche Kontakt zwischen Grohmann und Segall weiter intensiviert. ImMai 1919 hatte er Segall in den Neuen Blättern für Kunst und Dichtung vorgestellt. 25 Man traf sich bei Victor Rubin oder in Segalls Atelier, ging ins Theater, besuchte Ausstellungen und Konzerte oder verbrachte die Wochenenden gemeinsam in Berlin. Im Oktober 1919 besuchten beide dort eine Tanzvorstellung

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