Leseprobe

29 Das Erbe der »Brücke«, Krieg und Politik Als Gründungsort und Schauplatz erster Erfolge der Künstlergruppe »Brücke« hat sich Dresden in die Geschichte der expressionistischen Kunst eingeschrieben. Die Maler der »Brücke«, welche die Stadt 1911 verlassen hatten und nach Berlin über- gesiedelt waren, boten der ihr folgenden Generation junger Künstler Stoff für Legen- den und nicht zuletzt auch ein Vorbild für den Erfolg künstlerischer Gruppenbildung. Der zur Zeit der »Brücke« wichtigste Künstlerverband in Dresden war die 1867 gegründete Kunstgenossenschaft, in der zwar keine benennbare stilistische Doktrin herrschte, deren Präsentationen jedoch von einer konservativen Kunstauffassung bestimmt waren. Aus dem Umfeld einer ersten Dresdner Sezession des Jahres 1893 gründete sich 1910 die Künstlervereinigung. In dieser dominierten die einst progres- siven Künstler der 1890er Jahre wie Gotthardt Kuehl, Carl Bantzer, Robert Sterl, Eugen Bracht, Georg Wrba und Oskar Zwintscher, inzwischen etabliert bzw. Lehrende an der Königlichen Kunstakademie. Diesen Persönlichkeiten und ihrer öffentlichen Geltung war es zu verdanken, dass die Vereinigung breite Unterstützung fand und schon sechs Jahre nach ihrer Gründung ein eigens für ihre Nutzung errichtetes städ- tisches Ausstellungsgebäude an der Lennéstraße in Besitz nehmen konnte. Bereits in ihrer ersten Ausstellung bekannte sich die Künstlervereinigung mit einer Einladung an die Künstler der »Brücke« zu einer gegenüber allemNeuen offenen Haltung. Kehr- seite dieser Offenheit war jedoch, dass die Künstlervereinigung »auf Prominenz« hielt und auf jedwede politische Positionierung verzichtete. 2 Die Idee einer neuen Gruppe, die letztlich zur Gründung der Dresdner Sezession – Gruppe 1919 3 führen sollte, lässt sich in ihren Ansätzen weit zurückverfolgen. Im August 1915 besuchte der damals 18-jährige Maler Conrad Felixmüller seinen Kolle- gen und Mentor Ludwig Meidner in Berlin. Beide hatten sich ein Jahr zuvor in Dresden kennengelernt, 4 und Felixmüller hatte eben die Kunstakademie verlassen, um selbst- ständig zu arbeiten. Raoul Hausmann schrieb zu dem Besuch: »Bei Meidner ist der Maler Felixmüller aus Dresden zu Besuch, er will eine neue Gruppe gründen.« 5 Felix- müllers Eintauchen in Meidners »jour fixe«, bei dem sich eine bunte Mischung von Künstlern, Literaten, Theaterleuten und Bohémiens traf, beflügelte offenbar seine Idee der Suche nach Allianzen. Wie sehr dieser Besuch Felixmüller imponiert hatte, wird anhand der noch immer begeisterten Schilderungen deutlich, die der Künstler Jahrzehnte später verfasste: »Mit einem Haufen Zeichnungen kam ich aus Berlin zu­ rück. Aber vor allemmit Mut, Hoffnung und Kameradschaft – aufgenommen in einen Kreis Gleichfühlender, meist älterer Gleichstrebender.« 6 Was Felixmüller umtrieb, verarbeitete er nach seiner Rückkehr in einem »Freunde im Atelier« betitelten Ge­ mälde, das als Programmbild idealisierter künstlerischer Vernetzung gelten kann. Dort stellte sich der Maler gemeinsam mit drei Dresdner Vertretern anderer Kunst- gattungen dar, dem Bildhauer Georg Kind, demHoftheater-Schauspieler Otto Nebel- thau und dem Schriftsteller Karl Römer. 7 Das Bild zeigt eine hermetische Gruppe Gleichgesinnter, geistig eng verbunden und gemeinsam schaffend, jedoch im Unter- schied zu den Malern der »Brücke« als interdisziplinäre Gemeinschaft imaginiert. »Wer fragt nach Endgiltigem in diesem brausenden Gewitter einer Weltenwende, Weltgeburt; ja wer weiß auch nur eine Antwort, ob es Weltenwende ist?« 1 PAUL FERDINAND SCHMIDT Abb. 1  CONRAD FELIXMÜLLER Atelierbild, 1915 Öl auf Leinwand, 150×135 cm (WV Spielmann 55), ehem. Museum Elberfeld, 1944 durch Bomben vernichtet

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