Leseprobe

73 Abb. 37 Bucheinband von Experiment in Totality, 1950 (Entwurf: László Moholy-Nagy). in Worte zu fassen und zu vermitteln. Er besteht im Wesentlichen aus Auszügen aus der kurz danach veröffentlichten Biografie Experiment in Totality (Abb. 37). Diese fand ein großes Echo und brachte der Autorin viele Einladungen zu Vorträgen über Moholy und sein Werk ein. Nach ihrem Ausscheiden aus dem Chicago Institut of Design nahm Sibyl Mohoy-Nagy eine Reihe von Lehraufträgen zu moder­ ner Kunst an. Diese ermöglichten es ihr, sich weiter konzentriert und vertieft mit moderner Kunst zu beschäftigen. So übersetzte sie Paul Klees Päda‑ gogisches Skizzenbuch, das sie mit einer eigenen Einleitung herausgab. 7 Diese Erfahrungen sollten ihr nützen, als sie Jahre später ihre Stelle am Pratt Institute antrat und dort einen Kurs über die Grundlagen der Gestaltung anbot, der sein Vorbild in einem von László Moholy-Nagy und Josef Albers fürs Bauhaus entwickelten Vorkurs hatte. Einladungen, über Moholy zu sprechen oder zu schreiben, erhielt sie bis an ihr Lebensende – meist wenn eine neue Ausstellung eröffnet oder ander- weitig an Moholy erinnert wurde. Es gibt daher eine ganze Reihe weiterer Texte, die seine Biografie ergänzen. 8 Zu deren wichtigsten zählt ein reich illus- trierter Artikel, der 1966 in Arts and Architecture erschien  9 und Moholy und sein Werk in eine Reihe mit den Konstruktivisten Kasimir Malewitsch, El Lissitzky, Alexander Rodtschenko, Wladimir Tatlin und Naum Gabo stellt. Moholy gilt hier als Höhe- punkt der von diesen Künstlern verkörperten Ent- wicklung; seine Arbeiten, die die unterschiedlichen Facetten des Konstruktivismus zu einem Fest von Licht, Bewegung und Betrachterteilhabe ver­ einigen, als ein Gipfel moderner Kunst, der von späteren Entwicklungen nicht mehr erreicht wer- den würde. Mitten im Kalten Krieg Anfang der 1950er Jahre begann Sibyl Moholy-Nagy, die Architektur in den Mittelpunkt ihrer Lehre und Forschung zu stellen. Bald wurde sie zur Kritikerin zeitgenössischer Architektur. Die Themen, mit denen sie sich dabei beschäftigte, wählte sie mit Bedacht, etwa indem sie ihre Reisen nach Europa zum Anlass nahm, den Redaktionen von Fachzeit- schriften Vorschläge für Artikel zu unterbreiten. Ihre ersten umfangreicheren Beiträge für Architectural Forum und Progressive Architecture, »Architecture of Eastern Germany« (Architektur in Ostdeutsch- land) und »Berlin’s International Building Exhibition« (Die Internationale Bauausstellung in Berlin), ent- standen im Anschluss an ihre Deutschlandreise im Sommer 1955. 10 Sie vermitteln einen lebendigen Eindruck von ihrer kritischen Haltung, lassen aber auch erkennen, wie stark der Kalte Krieg ihr Denken beeinflusste. Den Artikel über die DDR-Architektur versah die Redaktion von Architectural Forum mit einer kur- zen Einführung, in der sie einen der zentralen Sätze zitierte: »In Westdeutschland ist die Architektur

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