Leseprobe
· 79 · einem der wesentlichsten Leitgedanken seines wissenschaftlichen Strebens und sei- nes Lebens. Es manifestierte sich öffent- lich, als er beim Marianischen Kongress in Fribourg im August 1902 einen Vortrag über die Marienverehrung in der griechischen Liturgie hielt, in welchem er in besonderer Weise die liturgische Verehrung der Gottes- mutter im Osten hervorhob. 3 Zugleich äu- ßerte er bereits seine Hoffnung auf Versöh- nung und Wiedervereinigung der Kirchen. 4 1904 hielt er einen weiteren bedeutenden Vortrag, nun über die »Orientalische Kir- chenfrage«, 5 sowie eine Vorlesung »Allge- meine Einführung in alle orientalischen Li- turgien und spezielle Einführung in die Li- turgie der Griechen«. Schon hier entfaltet Prinz Max die Vielfalt der orientalischen Riten, neben dem am weitesten verbreite- ten byzantinischen bzw. griechischen Ritus eben auch die westsyrisch-antiochenischen, die ostsyrisch-persischen, armenischen und die in Nordafrika beheimateten alexandri- nischen Traditionen. Es war gerade die Zeit, in der im Westen unter Papst Leo XIII. wieder einmal ein – wenngleich noch eher zaghaftes – Interesse an den Ostkirchen aufkeimte, verbunden mit Gedanken an die Wiedervereinigung der Kirchen von Ost und West, die seit Jahrhun- derten getrennt waren. 6 Bezugspunkt für Prinz Max war die Liturgiewissenschaft. Doch die Methodik, dabei die liturgischen Texte und Ausdrucksformen des Ostens und Westens miteinander zu vergleichen, wand- ten damals nur wenige an. Naturgemäß waren dazu gediegene Kenntnisse orienta- lischer Liturgik und Philologie vonnöten, die sich Prinz Max sehr früh erwarb. 7 Er erlern- te dazu eigens Russisch, Kirchenslawisch, Syrisch und Armenisch. 8 Neben der gleichsam für eine profes sionelle universitäre Vertretung seines Fa- ches notwendigen Kompetenz entfaltete die Thematik der Ostkirchen im Leben des jun- gen, vornehmen Priesters sehr bald eine für ihn existentielle Komponente: Die Begeiste- rung für Leben und Spiritualität der orien- talischen Kirchen, insbesondere im Erfah- ren von Liturgie und Kunst, und vor allem die Frage nach der Spaltung der Christen- heit und ihrer Überwindung trieb ihn mit außergewöhnlicher Leidenschaft an. Er wollte ostkirchliche Theologie und Liturgik nicht nur akademisch erforschen, sondern in all ihrer Breite hautnah erleben und in sie eintauchen. Zu diesem Zweck unternahm er eine Reihe von Reisen in die Länder des Orients und Osteuropas. Hier verbanden sich wissenschaftliche Aspekte mit konkretem Erleben. All dies brachte Prinz Max in seine zahlreichen universitären Vorlesungen, öf- fentlichen Vorträge und breitenwirksam verfassten Beiträge in heimischen Zeit- schriften und Zeitungen ein, sodass er bald schon gleichsam als eine Art »Künder und Prediger der Ostkirchenkunde« wahrge- nommen wurde. Orientreisen als Orte der Begegnung Was Prinz Max von seinen Zeitgenossen un- terschied: Er wollte nicht nur ein theoreti- scher Kenner der Ostkirchen werden, wie es damals ganz üblich war, 9 sondern unmittel- bar das Morgenland besuchen, um vor Ort seine Kultur und die verschiedenen Litur gien selbst erleben zu können. Mit offenen Ohren und wachen Augen für die Menschen seiner Zeit erkundet Prinz Max in den Jah- ren von 1903 bis 1909 Städte und Orte des Orients, Osteuropas und Russlands. Im Hin- tergrund seiner Expeditionen steht dabei sein Interesse an den konkreten Menschen und sein Engagement zugunsten der Einheit der Kirche. 10 Auf diese Weise inspiriert, ge-
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