Leseprobe
· 131 · bahnnetz und eine in Teilen fast industriel- le Landwirtschaft. Da die vergleichsweise geringen Löhne ein wichtiger Faktor für die Konkurrenzfähigkeit sächsischer Unterneh- men waren und der große Arbeitskräfte- mangel der zweiten Industrialisierungs phase zu einer Gastarbeiter-Migrations welle führte, sah sich auch Prinz Max mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit und Tole- ranz konfrontiert. Die politische Arbeiter- bewegung orientierte sich mehrheitlich an den Positionen einer marxistischen Sozial- demokratie, auf deren politischer Agenda nicht nur die Beseitigung der kapitalisti- schen Wirtschaftsordnung stand, sondern auch die Beendigung der monarchischen Staatsform. Konfessionell war Sachsen mehrheitlich evangelisch-lutherisch, seit der Konversion Augusts des Starken mit römisch-katholischer Herrscherfamilie und einer sich um den Hof bildenden kleinen katholischen Diaspora-Gemeinde, die durch den Zuzug von Gastarbeitern, überwiegend aus Grenzgebieten zwischen Deutschland und Polen, etwas anwuchs. Das alles prägte den Heranwachsenden. Seine frühen Äußerungen zu politischen und Kirchenfragen waren noch stark an dem orientiert, was eine staatstragende Elite und konservative Öffentlichkeit von einem Prinzen erwarteten. Mit zunehmendem Le- bensalter, Erfahrungswissen und Meinungs- bildung änderte sich das. Dabei befand sich Prinz Max in einer komfortablen Situation. Als drittgeborener Sohn des Kronprinzen und späteren Königs war er soweit von einer möglichen Thronfolge entfernt, dass dynas- tische Zwänge und staatspolitische Rück- sichtnahmen ihn weniger einschränkten als seine älteren Brüder Friedrich August und Johann Georg. Dennoch erlangte er als po- litischer Mensch eine weit größere öffent- liche Wahrnehmung unter seinen Zeitge- nossen. Er wurde zu einem der bedeutends- ten Wettiner des 20. Jahrhunderts. Offensichtlich verfolgte er die politi- sche Entwicklung nicht aus machtpoliti- schem Kalkül, was bei einem Mitglied einer regierenden Dynastie kaum verwunderlich gewesen wäre, sondern vor dem Hinter- grund der internationalen und der sozialen Gerechtigkeit. Bereits bevor er die Berufung
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