Leseprobe

· 132 · zum priesterlichen Dienst verspürte, war für Prinz Max Gerechtigkeit ein zentrales Thema. Er wollte und konnte nicht akzep- tieren, wenn andere Menschen individuell oder als Gruppe wegen ihrer sozialen Her- kunft, Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gemeinschaft oder zu einer Konfession beziehungsweise Religion überheblich oder sogar herabwürdigend behandelt wurden. Die wenigen Quellen über den jungen Prin- zen beschreiben ihn als freundlich und zu- vorkommend allen Menschen gegenüber. Der kategorische Imperativ Immanuel Kants – neben Lew Nikolajewitsch Tolstoi war der Philosoph aus Königsberg ein wissenschaft- liches und persönliches Vorbild – wurde dem Hochgebildeten ein lebensleitendes Prinzip. Den andern niemals nur als Mittel zu gebrauchen, bestimmte sein Handeln, eingebettet in seine tiefe Überzeugung von der Gottesebenbildlichkeit eines jeden Men- schen, konsequent und mutig in Kindheit und Jugend, als Student der Theologie, junger Priester, Universitätsprofessor im Schweizer Fribourg mit dem Schwerpunkt Kirchenrecht und ostkirchliche Liturgie, als Militärseelsorger und Lazarettgeistlicher im Ersten Weltkrieg, Friedensaktivist, beken- nender Tier- und Umweltschützer, Vegeta- rier und Lebensreformer, als Seelsorger und Professor für Kulturen und Literaturen des Orients in seiner zweiten Fribourger Zeit. Sich seiner Stellung als königlicher Prinz wohl bewusst, bedeutete Teilhabe an Herr- schaft für Max von Sachsen vor allem Wahr- nehmung von Verantwortung. Als mit der Novemberrevolution die Herrschaft der Familie verging und damit für einige Jahre die materielle Existenz des vormaligen Kö- nigshauses in Frage stand, trennte er sich von einem großen Teil seines irdischen Be- sitzes, behielt ihm lieb gewordene Erinne- rungsstücke und verschenkte vieles ihm Zugedachte an die Armen. Prinz Max von Sachsen wurde von etli- chen Zeitgenossen als ein neuer Franziskus von Assisi wahrgenommen. Tatsächlich scheute er sich nicht, wie jener, alles offen und kritisch anzusprechen, was ihm kritik- würdig erschien. Das offene, aufrüttelnde Wort war ihm wichtiger als diplomatische Zurückhaltung, dem Staate und gesell- schaftlichen Akteuren gegenüber ebenso wie gegenüber seiner Kirche. Seine Her- kunft aus einer der ältesten deutschen und europäischen Dynastien verschaffte ihm auch bei denjenigen Gehör, die ihm lieber nicht zugehört hätten. Die erste überlieferte öffentliche Äuße- rung zu einem Thema der internationa- len Politik, die erhebliche Medienresonanz fand, stammt aus dem Jahr 1910 und be- zieht sich auf die Kreta-Frage. Kreta, Mordechai und die Wahrheit Prinz Max teilte mit seinen Geschwistern, vor allem aber mit seinem Bruder Johann Georg, die Begeisterung für Kultur, Kunst, Geschichte und Religionen des christlichen Orients, für den man heute besser den Be- griff »Christlicher Osten« verwendet. Zwi- Links oben: Prinz Georg von Griechenland als Hoch- kommissar von Kreta und Persönlichkeiten der Zeitgeschichte, Postkarte, Anfang 20. Jahrhundert. Links unten: Appell von englischen Soldaten auf Kreta, Postkarte, Anfang 20. Jahrhundert. Rechts: Prinz Johann Georg mit seiner Frau Prin- zessin Maria Immaculata, Foto, 30. Oktober 1916. Das Foto hing über dem Bett des Prinzen Max in seiner letzten Wohnung in Fribourg-Bürglen.

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