Leseprobe
26 Christine Kelm Magdalena. Der Mittelschrein und die Predella wurden für die Aufstellung in der Jakobikirche in den 1960er-Jahren neu ge baut. Dennoch wirkt die Kreuzigungsgruppe im Schrein merk würdig gedrückt. Die Skulpturen stehen direkt auf dem Boden brett, auf das sonst übliche Querbrett mit dem Schleierbrett hat man verzichtet und das Kreuz zu einem T-Kreuz umgear beitet. Die Höhe des Schreins ist durch die Höhe der Flügel vorgegeben. Grundlage für diesen Neubau war eine Zeichnung von Walter Hentschel, 4 der sich mit diesem Rekonstruktions vorschlag auf eine historische Beschreibung des Altars bezog (Abb. 1). 5 Die Chemnitzer Johanniskirche, aus der die Tafeln und Skulpturen in die Jakobikirche übernommen wurden, hatte im 16. Jahrhundert eine bewegte Geschichte. 1547, im Schmalkal dischen Krieg, wurde sie – wie auch einige Kapellen in den Vorstädten – auf Geheiß von Herzog Moritz niedergelegt, weil dieser fürchtete »es möchten die Kirchen vor der Stadt dem Feinde zum Vorteil dienen und bei vorfallender Belagerung der Stadt schädlich sein.« 6 Erst 1566 begann der Wiederaufbau der Johanniskirche. 7 Adam Daniel Richter beschreibt 1763 in seiner Chronik der Stadt Chemnitz das Retabel in der wiederaufgebauten Johanniskirche, und damit einen Zustand, der zu seiner Zeit längst nicht mehr erhalten war. 8 Er vermutet, dass dieser Kas ten wahrscheinlich schon vor dem Einreißen 1547 auf dem Altar gestanden hat und wieder aufgesetzt wurde. Spätestens 1721, als ein Kanzelaltar aufgestellt wurde, hat man »den alten Altar weggetan, weil er von gar schlechter Baukunst und nur eine gemeine Tischlerarbeit war.« 9 In der Chronik wird das Retabel wie folgt beschrieben: ein dreieckiges Giebelfeld mit der Darstellung von Gottvater, und darunter ein gemalter Aufzug von »Bacchuskindern«, die der Autor sehr anstößig fand. Unter diesem Gesims wurde eine Tafel mit der Taufe Jesu präsentiert. Zu beiden Seiten dieser großen Tafel befan den sich zwei kleinere Felder – in einem Ecce Homo, das andere mit einem unbekannten Bild. Darunter kam das Hauptwerk des ganzen Altars – »ein großer Kasten mit zwei Flügeln, so man als Türen auf und zu machen konnte … auf den Flügeln des Kasten so innen auch vergoldet waren, stun de in vier Feldern zur Rechten Geißelung und Begräbnis, zur Linken Auferstehung und Himmelfahrt.« 10 Wenn der Kasten zugemacht wurde, sah man außen am Altar die Geburt Jesu, die Flucht nach Ägypten, die Anbetung der hl. drei Könige und den Kindermord zu Betlehem. Auf der Predella war das Abendmahl dargestellt. 11 Dieser Beschreibung nach kann es sich kaum um den tra ditionellen Aufbau eines spätgotischen Flügelaltars gehandelt haben. Vielmehr ist zu vermuten, dass für das Retabel in der wiederaufgebauten Johanniskirche vorhandene Stücke, mögli cherweise auch aus anderen Kirchen, mit zeitgenössischen Stü cken zusammengefügt wurden. Zumal Carl Lehmann 1843 in seiner Chronik erwähnt, dass man beim Abbruch der geistli chen Gebäude die Altarbilder herausgenommen hatte, »und diese waren wie sie zum Teil noch heute vorhanden sind, ohne Wahl durcheinander gebracht«. 12 Die Heiligen auf den Flügeln müssen mit einiger Sicherheit für die Aufstellung in der wiederaufgebauten evangelischen Johanniskirche mit neuen, protestantischen Bildinhalten der Passion und Auferstehung Jesu übermalt worden sein. Warum Hentschel die Malerei auf Vorder- und Rückseite der Flügel unterschiedlich datiert, ist allerdings unklar (Abb. 3, 4) . 13 Die Qualität der historischen Fotos lässt zwar zu wünschen übrig, doch scheint die Malerei der Vorderseiten mit der auf den Rückseiten hinreichend miteinander vergleichbar, sodass be züglich der Entstehungszeit ein Unterschied von mehreren Jahrzehnten nicht anzunehmen ist. Außerdem dürfte es in die sem Zusammenhang sinnvoll gewesen sein, beide Tafelseiten mit einer neuen Bemalung auszustatten. Die Skulpturen wurden 1721 in den Kanzelaltar übernom men und im Laufe ihrer Geschichte ebenfalls vollständig über malt, zuletzt möglicherweise 1913 für die gemeinsame Wieder aufstellung in der Brauthalle der umgebauten Johanniskirche (Abb. 5) . 14 Während der Erneuerung der Johanniskirche hatte man 1881 die Skulpturen der Maria und des Johannes aus der Kreuzigungsgruppe an den Verein für Chemnitzer Geschich te abgegeben, das Kruzifix aber zurückbehalten und im Kon firmandenraum aufgestellt. 15 Irgendwann sind auch die Flügel in das Altertumsmuseum Chemnitz gelangt und wahrschein lich bis 1957 dort geblieben. 16 Jedenfalls tauchen sie 1916 in einem Verzeichnis »der Bilder, deren Auffrischung wünschens wert erscheint«, auf. Da man die damals für das Museum tä tige Restauratorin für die Restaurierung mittelalterliche Ge mälde für nicht geeignet hielt, wurden die Tafeln zur Restaurierung in die Werkstatt der Königlich Sächsischen Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler einge schickt. 17 Hier wurde 1919 die Übermalung auf den inneren Tafelseiten abgenommen. Auf den Rückseiten ist die Renais Abb. 3 Chemnitz, Johanniskirche, Flügelretabel: Klappflügel, unteres Bildfeld: Grablegung, unbekannter Meister (2. Hälfte 16. Jahrhundert).
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