Leseprobe

29 I m D i c h t e rw i n k e l Bedingungen einer Diktatur nicht die Züge einer politisch aus- gerichteten ›Gegenkultur‹ angenommen haben oder anneh- men konnten, von ihren Vertretern größtenteils auch gar nicht in diesem Sinne intendiert waren«. 3 Letztlich war es immer die SED, die den Rahmen für Versuche eines möglichen »Frei- schwimmens« festlegte. Daher war »Subkultur in der DDR immer durch das Spannungsverhältnis von Anpassung und Widerstand, Flüstern und Schreien, Integrations- und Zentri- fugalkräften geprägt«. 4 Die Boheme-Zirkel der DDR waren laut Kaiser und Petzold denn auch mehr »lose Solidar- und Notge- meinschaften« 5 , eine »Ergänzungskultur« 6 , die den Kontroll- griff der Gesellschaft nie völlig abschütteln konnte und dies in den allermeisten Fällen auch gar nicht beabsichtigte. Dies wird nach Kaiser und Petzold 7 bereits dadurch deutlich, dass ihre Mitglieder nur selten die völlige Ablehnung staatlicher Aufträge praktizierten, was aber aufgrund des weitestgehen- den Fehlens eines nicht staatlichen Kunst- und Literatur- marktes wirtschaftlich in der Regel auch schlicht nicht mög- lich gewesen wäre. Allerdings boten die Boheme-Zirkel tem- porär Freiräume für symbolische Aggressionen, womit sie letztlich einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der in- nenpolitischen Destabilisierung der DDR hatten. In Habitus und Selbstinszenierung fällt bei vielen Zirkeln eine starke 1 Paul Kaiser/Claudia Petzold: Boheme und Diktatur in der DDR. Gruppen, Konflikte, Quartiere 1970–1989, Berlin 1997. 2 Vgl. ebd., S. 19 f. 3 Ebd., S. 19. 4 Ebd., S. 22. 5 Ebd., S. 17. 6 Ebd., S. 19. 7 Ebd., S. 18 f. Abb. 1 C H R I S T I A N B O R C H E R T | Der Schreibtisch von Heinz Czechowski in seinem Ende der 1970er Jahre erworbenen Haus in Wuischke Nr. 2 | 1987 Interessant ist unter anderem der historische Stadtplan des unzerstörten Dresden an der Zimmerwand. Mit Dresden verbanden sowohl Czechowski wie auch Borchert enge biografische und emotionale Beziehungen, die Zerstörung der Stadt 1945 beschäftigte beide künstlerisch immer wieder.

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