Leseprobe
126 der Redaktion und des Modeinstituts. Die Modeaufnahmen der ersten Jahre von Willi Altendorf und Helmut Fieweger wurden noch großteils im Studio realisiert, später nahm man jedoch zunehmend auch Modelle auf der Straße auf. Als Redaktionssitz der »Sibylle« geriet Berlin in seinen unter- schiedlichsten Facetten mit ins Bild. Unzählige Aufnahmen entstanden im Lustgarten, rund um den Fernsehturm, an S- und U-Bahnhöfen, in Neubaugebieten oder auf der Straße. S TA DT I M MO D E B I L D Ab den späten 1930er Jahren hatte »die Stadt« als Aufnahme- ort von Modefotografien an Bedeutung gewonnen. 3 In schwindelerregender Höhe fotografierte Erwin Blumenfeld 1938 das Model Lisa Fonssagrives mit wehendem Kleid auf dem Eiffelturm für die französische »Vogue«, das Panorama der Stadt im Hintergrund. Bekannte Monumente halfen, Mo- destädte wie Paris, New York und London zu bestimmen, jedoch wurden auch anonyme urbane Settings wie Straßen- kreuzungen zu wiederkehrenden Motiven. In Deutschland knüpfte man in den 1950er Jahren wieder an die Modefotografie der Vorkriegsjahre an. Mit Gründungen von modebezogenen Magazinen wie »Constanze« und »Film und Frau« 1948 waren neue Publikationsplattformen geschaf- fen worden und vor allem Berlin wurde in dieser Zeit häufig zur Kulisse für Modeaufnahmen. 4 F. C. Gundlach beispiels- weise fotografierte hier in den 1950er und frühen 1960er Jah- ren zahlreiche Modelle auf Straßen, vor Hauswänden und vor Sehenswürdigkeiten wie der Siegessäule oder der Gedächt- niskirche. 1961 lichtete er eine Dame in einem Pelz vor dem Brandenburger Tor ab. Kurz vor dem Mauerbau entstanden, ist das Schild mit dem Verweis auf die Sektorengrenze nicht zufällig ins Bild geraten und berichtet auch von Berlin als geteilter Stadt. Im Ostteil der Stadt entstand die »Sibylle«. Noch vor dem Mau- erbau wurde 1958 in der Serie »Berliner Chic in aller Welt« das Brandenburger Tor zum Hintergrund von Modeaufnahmen. Die erste Aufnahme zeigt das bekannte Wahrzeichen zurückge- setzt, vielmehr als Silhouette und Verweis auf Berlin als Stadt von Welt. Die Aufnahme partizipiert an touristischen Bildprak- tiken, mit denen sich, so Gabriele Mentges, »Modedarstellun- gen die Aura von Freizeit, Vergnügen und Reisen einverlei- ben«. 5 Die nächste Seite gibt, zumindest auf den zweiten Blick, mehr von diesem Wahrzeichen zu erkennen. In ihrer Farbigkeit heben sich vier Mannequins deutlich von dem mat- ten Hintergrund eines Bildes des Brandenburger Tores ab, vor das sie montiert wurden (Abb. 2). Die Aufnahme zeigt das Monument im Zustand des Wiederaufbaus, noch ohne die Quadriga. Zwischen den bunten Kleidern ist auch die Demar- kationslinie zu erkennen. In diesem Bild wird also ebenso die Grenze zu Westberlin gezeigt. Nach der Abriegelung der in- nerdeutschen Grenze 1961 traten andere Orte der Stadt in den Fokus und berichten dadurch gleichfalls über den Wandel Berlins. So haben beispielsweise die großen Bauprojekte der DDR in die Modebilder der »Sibylle« Eingang gefunden: Die im Stil des sozialistischen Klassizismus gebaute Stalinallee der 1950er Jahre ebenso wie der architektonische Ausbau des Ost- berliner Stadtzentrums in den 1960er Jahren oder das staat liche Aufbauprojekt der Wohngebiete in Plattenbauweise. Es entstanden Modestrecken, die nicht nur von der Mode, son- dern auch von der Modernität der Architektur berichten. Z W I S C H E N Z W I N G E R U N D W E I S S E M H I R S C H Ebenfalls noch vor dem Bau der Mauer wurde Dresden 1960 zum Aufnahmeort verschiedener vom Deutschen Modeinsti- tut entworfener Kleider und Kostüme. Der Titel der sechs Seiten umfassenden Strecke »Zwischen Zwinger und Weißem
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