Leseprobe
169 Mom e n tau f n a hm e n d e r b e s on d e r e n A r t desbeauftragten für die Unterlagen des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (BStU) recherchiert, ausgewählt und zusammengestellt hat. Der BStU verwaltet seit 1990/91 die Hinterlassenschaft des Ministeriums für Staatssicherheit, das innenpolitisch vor allem ein ideologi- sches Kontrollinstrument der Sozialistischen Einheitspartei gegenüber der DDR-Bevölkerung darstellte. Zur Beschaffung von Informationen wurden vom MfS ein komplexes System von Überwachungsmethoden ausgebaut und – weitgehend ohne Wissen oder Zustimmung der Betroffenen – Unmengen von Unterlagen angelegt. Um maximale Aussagekraft zu ge- währleisten und den Einschränkungen durch kognitive Ver- zerrung oder selektive Wahrnehmung entgegenzuwirken, betrieb das MfS hohen Aufwand bei der Schulung seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Techniken der Konspira- tion, Observation und Dokumentation. 2 Fotografien kam in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu. Als »Vor- teil der fotografischen Informationsspeicherung« definierte das MfS die Möglichkeit, »operativ relevante Erscheinungen, operativ interessierende Personen, Spuren usw. [...] dauer- haft und genau« zu fixieren, »ohne äußerlich auf sie einwirken oder sie verändern zu müssen. Die auf fotografischem Wege gespeicherten Informationen« seien »nahezu unbegrenzt ver- vielfältigungsfähig, jederzeit abberufbar [sic!], verfügbar und nachprüfbar«. 3 Zu diesem Zweck bezog das MfS Fotografien aus unterschiedlichen Kontexten: von heimlichen Observati- onen und erkennungsdienstlichen Erfassungen, Beweis- und Tatortfotografien über Nachstellungen von Tathergängen und der Herstellung von Schulungsmaterial bis hin zur Aneignung von Privatfotos, die im Zuge von Hausdurchsuchungen bei Verdächtigen konfisziert wurden. 4 Den Umfang dieses he- terogenen Materials beziffert der BStU auf 1,8 Millionen Fo- todokumente; 5 hinzu kommen zahlreiche Fotografien, die sich im Aktenverbund befinden. Fast 30 Jahre nach dem Ende der DDR sind diese Fotografien – schon vor einer möglichen Verwendung im Kunstkontext – mit vielschichtigen Zuschrei- bungen und Referenzrahmen versehen und könn(t)en fur diverse Narrative, visuelle Argumentationen und deren Hin- terfragung genutzt werden. Auftrag der Behörde des BStU ist es, »die Unterlagen der Staatssicherheit der DDR zu sichern und zu bewahren«, »die Öffentlichkeit uber Struktur, Methoden und Wirkungsweise des MfS zu unterrichten und zur historischen, politischen, juristischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung der SED-Diktatur« beizutragen. Zu diesem Zweck stellt der BStU die Unterlagen »nach den gesetzlichen Vorschriften des Stasi-Unterlagen-Gesetzes Privatpersonen, Institutionen und der Öffentlichkeit zur Verfügung«. 6 Eine besondere Heraus- forderung ist dabei der Anspruch auf Transparenz bei gleich- zeitiger Wahrung der Persönlichkeitsrechte. In den Jahren 2008 bis 2016 begab sich Jens Klein regelmäßig in die sogenannte Runde Ecke, die Außenstelle des BStU in Leipzig, um Unterlagen einzusehen und Fotografien aus dem Archiv zu sichten. Entstanden ist daraus unter anderem der Werkkomplex »Hundewege. Index eines konspirativen Alltags«, 1 Jasper von Richthofen: Vorwort, in: Silke Wagler/Kai Wenzel (Hg.): Im Moment. Fotografie aus Sachsen und der Lausitz, Ausst.-Kat., Görlitz 2017/18, Kulturhistori- sches Museum Görlitz, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Dresden 2017, S. 8. 2 Vgl. Karin Hartewig: Das Auge der Partei. Fotografie und Staatssicherheit, Berlin 2004, S. 32 f. 3 Definition: Fotografie, operativer Einsatz/Wörterbuch der politisch-operativen Arbeit (GVS JHS 001-400/81) JHS Potsdam-Eiche, April 1985, dokumentiert in: BStU (Hg.): Das Wörterbuch der Staatssicherheit. Definitionen des MfS zur »politisch-operativen Arbeit«, Berlin 2 1993, S. 118 f.; URL: www.gvoon.de/ddr/sta si/dokumente/woerterbuch/fotografie-operativer-einsatz.html (letzter Zugriff am 30. 10. 2018). 4 Vgl.: Hartewig, Das Auge der Partei (wie Anm. 2), S. 10. 5 Das Stasi-Unterlagen-Archiv in Zahlen; URL: www.bstu.de/ueber-uns/bstu-in-zahlen (letzter Zugriff am 29. 10. 2018). 6 Vgl. Aufgaben und Struktur; URL: www.bstu.de/ueber-uns/aufgaben-und-struktur (letzter Zugriff am 29. 10. 2018).
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