Leseprobe

13 nen Raum erhält, 8 zufällig Dinge wahrnimmt und diese aus der Palette der Warenwelt auswählt. Gleichwohl trifft Duchamp seine Entscheidun- gen unabhängig von der gebotenen warenästhetischen Attraktion, 9 denn es werden von ihm nur Dinge ausgewählt, die nicht vordergründig oder modisch wirken. Kunst und Leben, aber auch Kunst und Wissenschaft durch­ dringen sich in den gewählten Objekten, deren Erklärung zwischen Banalität und Tiefenreflexion hin und her oszilliert. Hinsichtlich der Wis- senschaft beschäftigte sich Duchamp 10 unter anderem mit mathemati- schen Fragen der »vierten Dimension«: »Was uns interessierte in jener Zeit war die vierte Dimension.« 11 Im Zusammenhang seiner künstlerischen Werke setzte er die Theorieaspekte mehr oder weniger assoziativ ein, indem er einzelne Vor- stellungen, Motive oder Erklärungsmuster herausgriff, um diese –  ver- gleichbar einer kubistischen Collage – in seine Werke einzubeziehen. Einerseits amüsierte ihn die Ernsthaftigkeit, mit der die wissenschaftli- chen Ideen in der zeitgenössischen Öffentlichkeit erörtert wurden, wobei in der Regel kein Unterschied zwischen populären und seriösen wissen- schaftlichen Theorien gemacht wurde; andererseits war er von der ge­ danklichen Tiefe der Ideen fasziniert, die weit über das Reflexionsniveau damaliger Kunstdebatten hinausgingen. Duchamps Werke markieren in ihrer Ambivalenz, formuliert man es zugespitzt, einen Wendepunkt künstlerischen Fragens: »Ich weigere mich, über die philosophischen Klischees nachzudenken«, so Duchamp, »die seit Adam und Eva von Generation zu Generation an allen Ecken und Enden des Planeten neu aufgewärmt werden. Ich weigere mich darüber nachzudenken und darü- ber zu sprechen, weil ich nicht an die Sprache glaube.« 12 Der Allgemeinbegriff Kunst stellt für ihn genauso eine Illusion dar wie die Frage nach der Existenz Gottes, der Freiheit oder dem Tod. Apodiktisch hält er fest: »Es gibt keine Lösung, weil es kein Problem gibt.« 13 Hinsichtlich der Kunst und ihrer Erkenntnismöglichkeiten be­ zieht er eine entschieden skepti- sche Position, die nicht nur das eigene Schaffen betrifft, sondern auch die bekannten Systeme der Kunst, die nach Wahrheit streben. Kunst und Wissenschaft unterscheiden sich nach Duchamp nur unwesentlich voneinander, sind doch ihr Verständnis und ihre Ak­ zeptanz immer zeitgebunden.Auch ändert sich ihr Wahrheitsgehalt nach den jeweiligen Erkenntnis- 2 Marcel Duchamp Staubzucht , 1934 Faksimile aus der Grünen Schachtel

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