Leseprobe
8 vorwort � Franz Liszt – welch ein Künstlerleben! Umjubelt als unübertroffener Pianist, vom Publikum vergöttert, von den Frauen geliebt, so erobert er die Konzertsäle Europas, eine stolze, eine unwiderstehliche Gestalt. Ein Kosmopolit, eine durch imposante Männlichkeit beste- chende Persönlichkeit, ein kühner, revolutionärer Komponist, dessen Bedeutung man erst heute allmählich erkennt. Ein geistvoller Schriftsteller, ein selbstloser Förderer von gera- dezu unglaublicher Freigebigkeit, ein Gesellschaftsmensch par excellence, ein frommer Katholik, der schließlich das Abbé-Kleid wählt. 1 000 Stimmen sprechen in ihm, er will allen gerecht werden, bis er zweien das Wort redet: »Zur Hälfte bin ich Franziskaner, zur Hälfte Zigeuner.« Franz Liszt, der auf der Höhe seiner Triumphe das Konzertpodium ver- lässt, um sein Genie und sein Ansehen für die neue Musik seiner Epoche einzusetzen, ist die konsequente Verkörperung des romantischen Zeitalters. Am 22. Oktober 1811 im damals ungarischen Raiding (heute Burgenland, Österreich) gebo- ren, nimmt Franz Liszt schon als Kind die Melodien der Zigeuner in sich auf, die durch seinen Geburtsort ziehen. Als Siebenjähriger deutet er auf Beethovens Portrait: »Ein solcher will ich werden!« Wien, wo man das pianistische Wunderkind verwöhnt, wird zu eng. Paris, die künstlerische Metropole des 19. Jahrhunderts, ist das nächste Ziel. Dort wird »Le petit Litz« gefeiert, seine Oper Don Sanche kommt 1825 in der Pariser Oper unter Rodolphe Kreut- zer zur Uraufführung, der berühmte Adolphe Nourrit singt die Titelrolle. Der 15-jährige Liszt gilt schließlich als alle Virtuosen überragender Pianist. Seine hohe Intelligenz und tiefe Religiosität drängen ihn jedoch in andere Bahnen. Er fühlt plötzlich Abscheu vor dem bloßen Effektrausch der Virtuosität, vertieft sich in religiöse Schriften und will in den Dienst der Kirche treten; doch das väterliche Veto verhindert dies: Er gehört der Kunst. Paganini tritt in Paris auf. Von dessen stupender Meisterschaft beeindruckt, konzentriert sich Liszt erneut auf seine pianistische Technik. Er erweitert die Grenzen seines Instru- ments, drängt ins Transzendentale. Er freundet sich mit Hector Berlioz an, dessen Symphonie fantastique (1830) er für das Klavier überträgt, und mit Frédéric Chopin, der sich eben in Paris niedergelassen hat. Liszt, der schlanke, vornehme Jüngling, der sich in seiner Kunst ein Königreich geschaffen hat, der sich an der Dämmerstimmung eleganter Boudoirs berauscht, hat den Schritt über seine Kindheit hinaus längst getan. Die Elite von Paris sucht seine Gesellschaft: Heine, Musset, Rossini, George Sand. Gräfin Marie d’Agoult tritt in sein Leben. Sie zieht mit ihm nach Genf und schenkt ihm drei Kinder, darunter Cosima, die spätere Gattin Hans von Bülows und Richard Wagners. Es schließen sich die großen Europa-Tourneen an, die seinen Ruf als unbestrittenen König der Pianisten begründen. Man überhäuft ihn mit Ehrungen, reizvolle Damen wie Char- lotte von Hagn, Lola Montez oder die »Kameliendame« Marie Duplessis verlieben sich in ihn. Überall fasziniert seine Virtuosität, siegt sein elegantes Weltbürgertum. Die Hälfte seiner Konzerteinnahmen spendet er für wohltätige Zwecke, u. a. für den Kölner Dombau, für die Opfer des großen Hamburger Brandes, für die Notleidenden der Überschwem- mungskatastrophe in Ungarn, für das Bonner Beethoven-Denkmal. Fast zehn Jahre lang
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