Leseprobe

43 1 Antonio Averlino, gen. Filarete Florenz, um 1400 – um 1469 Rom? Reiterstatuette des Marc Aurel Rom, um 1440/1445 Bronze, Spuren von Email; H. 38,2 cm; Standfläche: H. 17,4 cm, B. 38,4 cm Inschrift auf der Plinthe: ANTONIVS AVERLINUS ARCHITECTVS HANC VT VULGO FERTVR COMMODI ANTONINI AVGVSTI AENEAM STATVAM SIMVLQUE EQVM IPSVM EFFINXIT EX EADEM EIVS STATVA QVAE NVNC SERVATVR APVD S IOHANNEM LATERANVM QVO TENPORE IVSSU EUGENII QVARTI FABRICATUS EST ROMAE AENEAS TEMPLI S PETRI. QVAE QVIDEM IPSA DONO DAT PETRO MEDICI VIRO INNOCENTISSIMO OPTIMOQVE CIVI. ANNO A NATALI CHRISTIANO MCCCCLXV 1 Inv.-Nr. H4 155/37 Provenienz: 1587 im Inventar der Dresdner Kunstkammer als Geschenk des Herzogs von Mantua, Guglielmo Gonzaga, an Kurfürsten Christian I., erwähnt Literatur: Gramaccini 1985, 69–80; Martin Raumschüssel in Berlin 1995, 132f., Kat.-Nr. 2; Arnold Nesselrath in Rom 2005, 312, Kat.-Nr. III.2.2; Ilaria Ciseri in Florenz 2013, 174, Kat.-Nr. V.7 Filaretes Reiterstatuette ist nicht nur die älteste erhaltene Kleinbronze der Renaissance, sondern auch die älteste bekannte Nachbildung einer antiken Großplastik. Beide, Kleinbronzen und Antikenkopien, erlebten ab dem 16. Jahr- hundert eine Blütezeit, die mit diesem Gründungswerk von der Mitte des 15. Jahrhunderts ihren Anfang nahm. In hand­ lichem Format reproduzierte Filarete das über vier Meter große antike bronzene Reiterstandbild des römischen Kaisers Marc Aurel (Abb. 28). Dieses hatte die Jahrhunderte unbeschadet überdauert, da man in ihm (fälschlicherweise) ein Denkmal für Kaiser Konstantin sah.2 Es stand zumindest seit dem 10. Jahrhundert als Symbol der unzerstörbaren Größe Roms und der weltlichen Macht des Papsttums vor der Kirche von S. Giovanni in Laterano, bis es 1538 auf dem von Michelangelo gestalteten Kapitolplatz neu aufgestellt wurde. Filarete, was so viel wie »Tugendliebhaber« bedeutet, war Architekt, Bildhauer, Medailleur und Verfasser eines bedeu- tenden Architekturtraktats. Er wurde wahrscheinlich in der Werkstatt Lorenzo Ghibertis in Florenz ausgebildet, als dieser die Paradiestür für das Baptisterium schuf. Die dabei gewon- nene Expertise führte offenbar dazu, dass Filarete von Papst Eugen IV. den Auftrag erhielt, monumentale Türflügel aus Bronze für den Petersdom in Rom auszuführen. Während dieser Arbeit, die Filarete von 1433 bis 1445 in Anspruch nahm, modellierte er auch – wie die ungewöhnlich ausführliche Inschrift auf der Bodenplatte besagt – die vorliegende Bronze­ statuette. Aufgrund eines stilistischen Vergleichs mit jenen Reliefs der Tür, die erst nach 1443 entstanden sein können, datiert man die Statuette um 1440/1445.3 Warum und für wen Filarete die Bronzefigur anfertigte, ist nicht bekannt. Da die Türen für St. Peter in einem fast schon übertrieben antikisierenden Stil gehalten sind, ist es offensicht- lich, wie sehr sich ihr Schöpfer für das Altertum interessierte. Möglicherweise inspirierten ihn antike Kleinbronzen, die man bereits zu sammeln begann, zu seiner innovativen Statuette. Vielleicht wollte er dem Papst mit dieser aber auch nur den Vorschlag zu einer Restaurierung des Originals unterbreiten, das in keinem guten Zustand war. Letzteres ist nicht verwun- derlich, denn schließlich ruht das Gewicht von Ross und Reiter lediglich auf drei schlanken Pferdebeinen, während der vierte Huf angehoben ist. Wie fragil diese Körperteile sind, zeigt sich an Filaretes Statuette, an der bezeichnenderweise der rechte Vorderhuf und die linke Hinterhand des Pferdes ab­ gebrochen sind. Für die statischen Probleme hatte Filarete offenbar eine Lösung anzubieten, denn bei seiner Kleinbronze fungiert ein unter das Reittier geschobener Paradehelm als raffinerte Stütze. Außerdem ist bei der Kleinbronze der am antiken Vorbild fehlende Teil des Brustriemens der Satteldecke ergänzt und dieser sowie das Zaumzeug sind mit farbigen, leider nur noch in Resten erhaltenen Emaileinlagen dekoriert. Darin könnte man die Absicht erkennen, dem antiken Meis- terwerk wieder zu seinem alten Glanz verhelfen zu wollen. Wie der zweite, nachträglich eingravierte Teil der Inschrift besagt, wollte Filarete die Statuette 1465 Piero de’ Medici (1416–1469) schenken, den er wohl als neuen Mäzen zu gewin- nen suchte, nachdem er den Mailänder Hof, wo er seit 1451 tätig gewesen war, im Groll verlassen hatte. Ein Brief aus dem Jahr 1466 legt die Anwesenheit Filaretes in Florenz zwar nahe,4 doch ist sonst nichts weiter darüber in Erfahrung zu bringen. Eine im Nachlass-Inventar von Pieros Sohn Lorenzo de’ Medici aus dem Jahr 1492 vermerkte »Figur aus Bronze auf einem Pferd« wurde mit Filaretes Statuette in Beziehung gebracht, aufgrund ihrer ausführlichen Inschrift erscheint es jedoch merkwürdig, dass weder das Objekt richtig erkannt noch der Künstler genannt wurde, während der unmittelbar folgende Eintrag einen »Kentauren aus Bronze von Bertoldo

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