Leseprobe
49 Zu dieser Fülle von Deutungen soll hier noch ein weitere, bisher nicht vorgeschlagene hinzugefügt werden. Martini demonstrierte in zwei Werken auf recht ungewöhnliche Weise sein Interesse an Astrologie: In einer Zeichnung, die Atlas darstellt (Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum), trägt dieser das Himmelsgewölbe in Gestalt einer Scheibe über dem Kopf, auf welcher die Planeten und Tierkreiszeichen in 15 statt der üblichen zwölf Segmente eingeschrieben sind, und in der großformatigen Tafel der Krönung Mariens (Siena, Pinacoteca Nazionale) erscheint Gott Vater in einem Ring, der mit Plane tengöttern und Tierkreiszeichen bevölkert ist. Diese merkwür- dige Darstellung des Kosmos wurde als Allegorie des astro logischen Systems des Ptolemäus gedeutet,7 wonach es 48 Stern bilder geben soll. Dabei decken sich die ersten zwölf mehr oder weniger mit den geläufigen Tierkreiszeichen, während das 13. als Serpentarius (Schlangenträger) bezeichnet wird. Bei Hygi nus ( Astronomica 2.14) wird erzählt, dass unter anderen auch Äskulap von Jupiter in dieses Sternbild gesetzt wurde, weshalb man diesen oft mit dem Schlangenträger gleichsetzt. Vielleicht handelt es sich bei der Dresdner Figur also um eine Darstel- lung des Serpentarius. Dass solche enigmatischen Themen für die Zeit nicht ungewöhnlich waren, demonstriert Donatellos um 1440 entstandene Bronzeskulptur des Amor Attys (Florenz, Bargello), die mit 104 Zentimetern auch von vergleichbarer Größe ist. Von dieser Statue wird ebenso wie von der in Dres- den angenommen, dass sie einstmals als Brunnenfigur diente. Da der »Schlangenträger« jedoch ein Vollguss ist, kann er, wenn überhaupt, nur in einer Brunnenschale gestanden haben, ohne selbst Wasser zu spritzen. Eine Aufstellung auf einer Säule in einem Innenhof oder Garten eines Humanisten ist ebenso vorstellbar. Es muss jedenfalls ein sehr wohlhabender Auftraggeber gewesen sein, der sich mit diesemWerk einen wirk- lich bemerkenswerden Schmuck für sein Heim zugelegt hat. Claudia Kryza-Gersch 1 Zuschreibung von Schubring 1907, S. 194ff., der seither nur Bellosi 1993, 84, wider- sprochen hat. 2 Zur ereignisreichen Biografie des Künstlers siehe Frommel 2015. 3 Toledano 1987, 150. 4 Raumschüssel 1995, 157. 5 Für eine Abbildung siehe Siena 1993, 145. 6 Nesselrath in Rom 2006, 124f. 7 Toledano 1987, 84. Abb. 29 Giacomo Cozzarelli, Beweinungsgruppe , Basilica della Osservanza, Siena (Detail)
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