Leseprobe

82 16 Giovanni Francesco Susini Florenz 1585–um 1653 Florenz Paris raubt Helena 1626 Bronze; H. 52,1 cm, B. 27,7 cm, T. 25,6 cm Signiert an der Rückseite: IO.FR.SVSINI.FLOR.FAC.MDCXXVI Inv.-Nr. ZV 3609 Provenienz: Erstmals im Inventar von 1726 erwähnt Literatur: Ranalli 1974/75, Bd. 4, 118–121; Martin Raumschüssel in Essen 1986, 210f., Kat.-Nr. 235; Martin Raumschüssel in Duisburg 1994, 156f., Kat.-Nr. 62; Martin Raumschüssel in Berlin 1995, 402, Kat.-Nr. 130; Peggy Fogelman in Fogelman/Fusco 2002, 190–199, Kat.-Nr. 24 Giovanni Francesco ist der Neffe von Antonio Susini (1572– 1624), welcher von 1580 bis 1600 in der Werkstatt Giambolo- gnas als dessen wichtigster Assistent arbeitete. Der junge Bild- hauer ging bei seinem Onkel in die Lehre, übernahm nach dessen Tod die Werkstatt und wurde wie dieser Hofbildhauer der Medici. Laut seinem Biografen Filippo Baldinucci fertigte er zusammen mit seinem Onkel Güsse von den begehrten Kompositionen des 1608 verstorbenen Giambologna an.1 Des Weiteren sind von Giovanni Francesco virtuose Reduktionen nach berühmten Antiken überliefert. Er schuf jedoch nicht nur Kopien und Repliken, sondern entwarf ebenso eigene Werke, wie die exquisite Gruppe Paris raubt Helena . Geschildert wird der dramatische Moment der Entfüh- rung Helenas, der schönsten Frau der Welt und Gattin des Königs von Sparta, Menelaos, durch Paris, Sohn des trojani- schen Königs Priamos. Paris hält die sich windende Helena mit beiden Händen und hebt sie empor, um sie wegzutragen. Ihm zu Füßen liegt eine Frau, die versucht, ihn an seiner Tat zu hindern. Paris fühlt sich bei der Entführung jedoch im Recht, da ihm Helena von Aphrodite als Braut versprochen worden war. Hierzu kam es durch das sogenannte »Urteil des Paris«, als Hermes den jungen Trojaner darum bat, unter den drei Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite die schönste zu erwählen. Paris entschied sich für Aphrodite, da ihm diese die schönste Frau auf Erden als Lohn versprochen hatte. Mit der Entführung Helenas löste Paris unbeabsichtigt den Trojani- schen Krieg aus und besiegelte damit den Untergang seiner Heimat. Auf diese Begebenheit spielt ein kleines, in der Basis eingelassenes Relief (Abb. 38) an, auf dem der junge Aeneas zu sehen ist, der seinen greisen Vater Anchises aus dem brennen- den Troja rettet. Sein Sohn Askanios leuchtet den beiden den Weg mit einer Laterne. Anders als bei Giambolognas berühmtem Raub der Sabi- nerin (siehe Kat.-Nr. 15) sind die drei Hauptfiguren hier nicht mehr so eng miteinander verschlungen. Die emporgeschraubte, dynamische Bewegung löst sich zugunsten eines offeneren Figurenumrisses und stärker in den Raum greifender Gesten. Durch das zum Verständnis des Hauptthemas notwendige Relief, wird dem Betrachter zudem eine Ansicht der Statuette vorgegeben. Giovanni Francesco Susini als Vertreter des Früh- barock überwand somit die im Manierismus geforderte All­ ansichtigkeit einer Skulptur. Die Kombination einer Bronze­ statuette mit einer das Thema erweiternden Reliefszene bleibt zwar in seinem Werk einzigartig, übte aber zusammen mit dessen detailreich inszenierter Wiedergabe des Raubthemas und der für diese Zeit innovativen landschaftlichen Ausgestal- tung der Basis großen Einfluss auf die plastische Kunst nach- folgender Florentiner aus, die sich fortan stärker den narra­ tiven Aspekten ihrer Darstellungen widmeten.2 Birgit Langhanke 1 Baldinucci/Ranalli 1974/75, 118–121. 2 Siehe Fogelman/Fusco 2002, 198. Abb. 38 Detail von Kat.-Nr. 16

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