Leseprobe
87 18 Nicolas Cordier der Ältere, zugeschrieben Saint-Mihiel 1567–1612 Rom Afrikaner Rom, um 1610 Marmor; H. 79 cm Inv.-Nr. Hm 187a Provenienz: 1728 von Baron Raymond Leplat in Rom als Teil der Sammlung des Fürsten Flavio Chigi erworben Literatur: Ingeborg Raumschüssel in Dresden 1992, 48, Kat.-Nr. 30; Martin 2015 Die polychrome Büste zeigt einen jungen Afrikaner, der mit einer hellen Toga bekleidet ist. Sein Kopf ist aus schwarzem Marmor, dem sogenannten »Nero antico« oder »Bigio morato«, gearbeitet, der wirkungsvoll mit den weiß hinterlegten Aug äpfeln kontrastiert. Der Blick des Mannes wirkt dadurch besonders eindringlich und verleiht ihm zusammen mit der in Falten gezogenen Stirn und dem leicht geöffneten Mund einen bemerkenswert lebendigen Ausdruck. Seine naturkrausen Locken sind am Hinterkopf zu einem Schopf zusammen gebunden und im Unterschied zum blank polierten Stein des Gesichts stumpf belassen, wodurch auch hier ein verblüffend realistischer Eindruck der leicht verfilzten Haarpracht entsteht. Der schwarze Kopf mit Hals und schmalem Brustansatz steckt in einer Büste aus honigfarbenem Alabaster. Die Büste kam 1728 als teuerstes Stück der bedeutenden römischen Antikensammlung des Kardinalnepoten Flavio Chigi nach Dresden, welche durch Vermittlung von Baron Raymond Leplat, dem Kunstagenten Augusts des Starken, angekauft werden konnte. Bei der Büste handelt es sich jedoch nicht um eine Antike, sondern um ein Werk, das Nicolas Cor- dier zugeschrieben werden kann, was allerdings erst im späten 20. Jahrhundert erkannt wurde. Die Zuschreibung an den lothringischen Bildhauer Cor- dier, der in Rom, wo er sich 1592 niederließ, als »Franciosino« bekannt war, basiert vor allem auf der frappanten Ähnlichkeit des Kopfes mit jenem des sogenannten Moro Borghese . Diese um 1610 von Cordier geschaffene lebensgroße Figur war ein Glanzstück der berühmten Antikensammlung des Scipione Borghese und befindet sich heute im Pariser Louvre. Sie besteht aus dem Fragment einer antiken Gewandstatue aus rötlichem Alabaster, an das Cordier Kopf, Brust, Arme und Unterschenkel aus schwarzemMarmor anfügte. Bei der Statue handelt es sich somit um die Restaurierung eines antiken Torsos, die allerdings mehr einer Neuschöpfung gleichkam. Werke wie diese, die auch gerne als »Pseudo-Antiken« bezeich- net werden, entstanden meist nicht in Täuschungsabsicht, sondern aus dem Wunsch heraus, antiken Fragmenten wieder neues Leben einzuhauchen. Außerdem spielte dabei der Gedanke des Wettstreits eine wichtige Rolle, denn die baro- cken Bildhauer wollten mit solchen Schöpfungen zeigen, dass ihre Werke selbst im direkten Vergleich neben den antiken Originalen bestehen konnten, ja sich im Idealfall sogar als besser erwiesen. Cordiers Spezialität auf diesem Gebiet war die virtuose Verwendung von bunten Steinen, womit er sehr erfolgreich war. Claudia Kryza-Gersch Abb. 40 Kat.-Nr. 19 mit Büste
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