Leseprobe
106 28 Pierre Le Gros d. J. Paris 1666–1719 Rom Apoll Um 1715 Bronze; H. 68 cm, B. 38,3 cm, T. 31 cm Inv.-Nr. H4 154/14 Provenienz: Erstmals im Inventar von 1728 erwähnt Literatur: Holzhausen 1939, 174; Peter Volk in München 1995, 194–196, Kat.-Nr. 28 Die Figur des Apoll bildet zusammen mit jener des Marsyas (Kat.-Nr. 29) ein Paar. Behandelt wird der in Ovids Metamor- phosen geschilderte Mythos, demzufolge der Satyr Marsyas Apoll zu einem musikalischen Wettstreit herausforderte. Apoll entschied diesen für sich und zog Marsyas zur Strafe für seine Anmaßung die Haut bei lebendigem Leibe ab. Die Figur zeigt sich deutlich inspiriert von der gegen Ende des 15. Jahrhunderts bei Rom aufgefundenen antiken Statue des Apoll vom Belvedere , die 1511 im Innenhof der Villa Bel- vedere im Vatikan aufgestellt wurde. Dem ab 1690 in Rom lebenden Le Gros war sie daher sicher gut bekannt.1 Er adap- tierte die Komposition jedoch zu seinen Zwecken und spie- gelte nicht nur das Standmotiv, sondern deutete auch den ausgestreckten Arm, welcher bei der antiken Figur einen Bogen gehalten haben muss, zu einem Zeigegestus um, mit dem der Apoll von Le Gros auf Marsyas weist. Der stolz in die Ferne blickende Gott hält in seiner linken Hand die Leier, mit der er den Wettkampf gegen Marsyas gewann. Der mit einem Lorbeerkranz bekrönte Gott ist unbekleidet, lediglich ein sorg- fältig gefälteltes Tuch fällt über seinen linken Unterarm auf den Baumstumpf herab. Die Scham ist durch zwei Blätter verdeckt. Der in Paris geborene Pierre Le Gros, der bei seinem eben- falls als Bildhauer tätigen Vater in die Lehre ging, feierte in Rom schnell Erfolge und arbeitete sowohl für die Jesuiten als auch für die Dominikaner. Zu seinen wichtigsten Werken gehören zwei zu Beginn des 17. Jahrhunderts ausgeführte monumentale Apostelstatuen für die Lateransbasilika, womit Le Gros an einem der prestigeträchtigsten Aufträge jener Jahre beteiligt war. Le Gros zählte fortan in Rom zu den gefragtesten Bildhauern seiner Zeit. Bis auf einen kürzeren krankheits bedingten Aufenthalt in Frankreich im Jahr 1715 lebte Le Gros bis zu seinem Tod in der Ewigen Stadt. Kleinplastik des Bildhauers ist kaum überliefert, sein bevorzugtes Gebiet waren monumentale Marmorwerke. Le Gros interessierten Themen wie Mehransichtigkeit nicht in Hinblick auf die im Manierismus geforderte Rundansichtig- keit, sondern er entwickelte vielmehr seine Skulpturen anhand sich ausbreitender Draperien oder ausladender Gesten in der Fläche. Hierin ist er ganz dem römischen Barock des Gian Lorenzo Bernini verpflichtet, dessen Figuren auf eine gestalte- risch verdichtete Hauptansicht hin konzipiert wurden. Gesten und dramatisch geschlungene Gewänder werden dabei zu einem Teil der narrativen Gestaltung. Das Interesse Le Gros’ an erzählenden Figurenkonstellationen offenbart sich auch in den als Paar gestalteten Apoll und Marsyas , wobei beide Figu- ren ebenso einzeln aufgestellt ihre Wirkung entfalten können. Die erstmals von Holzhausen publizierte Zuschreibung der unsignierten Bronzen geht auf das Dresdner Inventar von 1765 zurück, in dem sowohl der Apoll als auch der Marsyas als »von Legros« beschrieben werden.2 1728 waren beide Statu etten in einem Inventar noch als »von Vinache« bezeichnet worden, jedoch ging Holzhausen davon aus, dass sich diese Nennung auf den Überbringer und nicht den Künstler beziehe. Gestützt wird die Zuschreibung an Le Gros ferner von einer aus dem Jahr 1761 stammenden Erwähnung im Zusam- menhang mit einer Lieferung von Andrea Violani für den königlichen Palast in Caserta, die eine mit den Dresdner Exemplaren übereinstimmende Beschreibung zweier Figuren von Apoll und Marsyas beinhaltet und diese als auf eine Kom- position von Le Gros zurückgehend anführt.3 Birgit Langhanke 1 Peter Volk in München 1995, 194. 2 Holzhausen 1939, 174. 3 Dazu und zu weiteren überlieferten Exemplaren siehe Baker 1985.
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