Leseprobe
110 30 Guillaume Coustou d. Ä. Lyon 1677–1746 Paris August der Starke Paris, um 1700/1705 Marmor; H. 64 cm (ohne Sockel), B. 41 cm, T. 27,5 cm Signiert an der linken Seite der Stütze: G. COVSTOV. F. Inv.-Nr. H4 1/5 Provenienz: Erstmals im Inventar von 1726 erwähnt Literatur: Martin Raumschüssel in Dresden 1992, 54, Kat.-Nr. 38; Bärbel Stephan in Dresden 2001a, 74, Kat.-Nr. 10; Astrid Nielsen in Versailles 2006, 157, Kat.-Nr. 15 Coustou war der Schüler seines älteren Bruders Nicolas sowie seines Onkels Antoine Coysevox und wurde nach einem Rom- aufenthalt, während dessen er bei Pierre Le Gros arbeitete, zu einem bedeutenden Bildhauer, den die französischen Könige Ludwig XIV. und Ludwig XV. oft beschäftigten. Bekanntheit erlangte er vor allem durch die Statuengruppen der beiden Rossbändiger für den Park von Marly. Die Marmorbüste stellt ein bemerkenswert lebendiges Porträt des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. (1670– 1733) dar. Es dürfte den physisch imposanten Herrscher, der aus gutem Grund August der Starke genannt wurde, im Alter von etwa 30 bis 35 Jahren zeigen, als er bereits die polnische Königswürde bekleidete. Brust und Schultern sind ungewöhn- lich stark fragmentiert, wodurch die Büste einen beinahe inti- men Charakter erhält. In knappem Ausschnitt ist nur wenig vom Kürass zu sehen, während ein starker Hals, mit virtuos modelliertem Seidentuch umwickelt, gleichsam den Sockel für das eindrucksvolle Haupt des Königs bildet. Gerahmt wird der Büstenausschnitt durch ein über die linke Schulter gelegtes, sich raffiniert wellendes Ordensband und eine zurückhaltende Draperie auf der anderen Seite. August der Starke ist mit verhältnismäßig kurzem Haar wiedergegeben, das sich in unregelmäßige, natürlich wirkende Locken kringelt. Ob es sich dabei um sein eigenes oder um eine Perücke à la moutonne handelt, ist nicht eindeutig zu er kennen. Die energische Wendung des Hauptes, die das Gesicht in der Ansicht von vorn beinahe zum Profil werden lässt, trägt weiter zum unkonventionellen Charakter des Porträts bei. Die markante Physiognomie des Herrschers erschließt sich erst beim Anblick en face, wozu man die Büste von der linken Seite betrachten muss. Coustous meisterliche Schilderung des Königs ist erstaun- lich, da es ziemlich unwahrscheinlich ist, dass er nach dem lebenden Modell arbeiten konnte und sich wohl an gemalten oder grafischen Vorbildern orientieren musste. Es ist nicht bekannt, ob die Büste ein Auftragswerk war oder ob sie der Künstler als Bewerbungsarbeit nach Dresden sandte. Ebenso ist man in Bezug auf die Datierung auf Hypothesen angewie- sen. Da sich Bildnisse des Herrschers mit kurzen Locken (Abb. 44) etwa auf die Jahre 1697 bis 1705 datieren lassen,1 ist anzunehmen, dass auch die Büste in diesem Zeitraum entstan- den sein wird. Claudia Kryza-Gersch 1 Z.B. Medaille von Martin Heinrich Omeis von 1697 (SKD, Münzkabinett, Inv.-Nr. BGA3723); Kupferstich von 1697 (SKD, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 138564). Abb. 44 Jacques Lauenhufe, August der Starke , 1705, SKD, Rüstkammer
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