Leseprobe

132 38 Balthasar Permoser Kammer 1651–1732 Dresden Christus an der Geißelsäule Salzburg, 1728 Plassenkalk vom Untersberg bei Salzburg; H. 79,5 cm Signiert auf der Rückseite der Säule: BALTHASAR / PERMOSER / HATS GEMACHT / IN SALZBURG. IN SEINEN / 77. IHAR. 1728 Inv.-Nr. ZV 4090 Provenienz: Aus der Kapelle des Taschenbergpalais in Dresden Literatur: Asche 1978, 115–117; Bärbel Stephan in Dresden 2001b, 32f., Kat.-Nr. 10 Der Körper Christi beschreibt eine S-förmige Kurve, wobei die rechte Hüfte stark herausgedreht ist und sich die Brust nach vorn wölbt. Das Haupt des Erlösers ist himmelwärts gerichtet, die Hände liegen ungebunden auf dem Rücken. Das zur Gei- ßelung verwendete Rutenbündel findet sich zwischen den Füßen der Figur. Die Geißelsäule ist zu einem Baumstamm umgewandelt und dient als Träger einer Botschaft: An ihr befindet sich ein Relief, welches das der Passion vorangehende Gebet Christi am Ölberg, also den Beginn des Leidenswegs, zum Thema hat. Es zeigt Christus, der im Niederknien über dem Leidenskelch zusammengesunken ist, während ein hinter ihm stehender Engel ihn hält. Über der ergreifenden Szene erscheinen die Köpfchen klagender Cherubime. Permoser befasste sich dreimal mit der Darstellung des Christus an der Geißelsäule : Seiner ungemein eindringlichen Skulptur aus dem Jahr 1728 gingen eine von 1721 (Hofkirche in Dresden)1 und eine von 1725 (ehemals Schlosskapelle Moritzburg)2 voran. Der Künstler verwendete jeweils eine besondere Marmorart, nämlich Plassenkalk vom Untersberg bei Salzburg. Der Stein in der ersten, annähernd lebensgroßen Fassung ist graugrün und von rötlichen Adern durchzogen. Die tiefroten Partien des Gesteins bildete Permoser zu plasti- schen Blutstropfen aus, die aus einer Wunde an der rechten Schulter quellen und zur Brust herunterlaufen. Bereits in der ersten Variation des Themas wird deutlich, dass es Permoser um eine »erschreckend illusionistische Vergegenwärtigung«3 der Passion Christi ging. Die zweite Version ist deutlich be­ wegter, obwohl die Körperhaltung nahezu identisch ist. Der Stein ist beinahe hautfarben und ebenfalls mit roten Adern durchzogen. Bei der dritten und kleinsten Fassung des Themas von 1728 hat der Stein wieder Inkarnatton, ist jedoch stärker in dunklem Rot gefleckt, was den schmerzvollen Eindruck gepeinigten Fleisches erweckt. Im Unterscheid zu den vorangegangenen Variationen trägt der Körper Christi in dieser Version keine plastisch ausgebildeten Wundmale mehr und allein der farbige Marmor dient der Kenntlichmachung des leidvollen Marty­ riums. Permoser gelang es, die ganze Dramatik des Leidens ausschließlich durch das Material zu veranschaulichen und durch dessen Farbigkeit auf Blut und Wunden hinzudeuten. Sicherlich auch aus der eigenen Frömmigkeit heraus schuf der Katholik Permoser diese Skulptur als Andachtsbild, das dem Gläubigen Christus nicht als strahlenden Sieger und König, sondern als Leidenden zeigt und so versucht, eine innerliche Beziehung zu erreichen sowie das Gefühl der Empathie zu erwecken. Auf der Rückseite seines Christus an der Geißelsäule ver- ewigte sich der Künstler mit einem bemerkenswerten Selbst- bildnis (Abb. 52). Laut Inschrift war er bei der Erschaffung des dritten Geißelchristus stolze 77 Jahre alt –, er schuf ihn also vier Jahre vor seinem Tod. Der vitale Mann des Porträts ist jedoch kein Greis, sondern eine beeindruckende Künstlerper- sönlichkeit, der man die Schaffenskraft für ein derart bewe- gendes Bildwerk auch im achten Lebensjahrzehnt zutraut. Astrid Nielsen 1 Bärbel Stephan in Dresden 2001b, 28, Kat.-Nr. 8. 2 Ebd., 30, Kat.-Nr. 9. 3 Asche 1978, 115. Abb. 52 Detail von Kat.-Nr. 38

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