Leseprobe
11 Astrid Nielsen Die Sammlung der Bronzen und der barocken Bildwerke ist neben den Antiken der bedeutendste Teil der Skulpturen- sammlung und konnte seit 2006 nicht mehr adäquat in ihrer ganzen Breite gezeigt werden. Durch die Neukonzeption des Albertinums und seiner Wiedereröffnung 2010 als Haus der Moderne, in dem die Kunst von 1800 bis zur Gegenwart gezeigt wird, fanden die antiken und neuzeitlichen Skulpturen, die zuvor in der Antikenhalle und dem Klingersaal ausgestellt waren, einen neuen Platz in verschiedenen Schaudepots (Abb. 1).1 Hier waren sie zwar sichtbar und zugänglich, aber die Art der Präsentation konnte dem Rang der Kunstwerke nicht gerecht werden.2 Es galt daher, die »Werke der Skulp turensammlung in ihrer Vielfalt, Schönheit und zum Teil atemberaubenden Qualität in Zukunft wieder im Rahmen einer neuen Dauerausstellung sprechen zu lassen.«3 So ist es ein Glücksfall für die Sammlung, dass seit 2016 eine Auswahl im neu eingerichteten Skulpturengang im Semperbau sowie in verschiedenen Sälen der Gemäldegalerie Alte Meister gezeigt werden kann, während die Antiken Ende 2019 in die Osthalle des Semperbaus einzogen. Dass die älteren Teile der Skulp turensammlung zukünftig von ihrem neueren Teil, also der Kunst ab 1800 mit dem einzigartigen Bestand an Werken Ernst Rietschels, Auguste Rodins, Constantin Meuniers, Max Klin- gers oder Wilhelm Lehmbrucks, räumlich getrennt präsentiert werden, bedeutet nicht ihre Auflösung, sondern eine inhaltlich orientierte Neuverortung der Werke, die eine strukturelle Ver- änderung mit sich gebracht hat. Einige der Objekte, die jetzt im Skulpturengang in der Gemäldegalerie ausgestellt sind, waren bereits in der kurfürst- lichen Kunstkammer vorhanden und dienten später zur Aus- stattung von Schlössern und Residenzen. Zwischen 1719 und 1730 wurden die Sammlungen unter Kurfürst Friedrich August I. (reg. 1694–1733) – als König von Polen seit 1697 August II. und berühmt als August der Starke – neu geordnet. Mit dem Ankauf antiker Statuen in Rom wurde der Grundstock der Antikensammlung gelegt, der schon bald auch die Werke der Renaissance und der zeitgenössischen Skulptur angeschlossen wurden. Die damals »modernen« Werke wurden fortan ge meinsam mit den Antiken gezeigt. Der folgende kurze Samm- lungsüberblick rückt eben jene Objekte der Renaissance und des Barock in den Vordergrund, die aus ganz unterschiedlichen Quellen in den Besitz des Hofes gelangten und die heute zum Bestand der Dresdner Skulpturensammlung gehören. Skulpturen und Geschenke in der Dresdner Kunstkammer Seit etwa 1560 gab es am Dresdner Hof die während der Regentschaft von Kurfürst August (reg. 1553–1586, Abb. 3) angelegte und im Residenzschloss eingerichtete Kunstkammer, in der sich Mineralien, Naturalien, kunsthandwerkliche Gegenstände, wissenschaftliche Instrumente, Uhren und Ge mälde befanden. Bis 1586 war die Nutzung der Kunstkammer allein dem Kurfürsten vorbehalten,4 was sich jedoch mit dem Regierungsantritt Christians I. (reg. 1586–1591) ändern sollte. 1587 entstand eine erste, nach Räumen gegliederte Auflistung aller in der Kunstkammer enthaltenen Werke und damit das erste »Kunstkammerinventar« Europas überhaupt.5 Der zustän- dige Kunstkämmerer war der Schreiner und Schraubenmacher David Uslaub (1545–1616), der sein Amt bereits 1572 ange treten hatte und dessen Bestallung Christian I. im Juni 1587 erneuerte.6 Neben dem bereits vorhandenen Bestand der Kunstkam- mer nahm dieses Inventar auch diejenigen Werke auf, die im ersten Regierungsjahr Christians I. als Geschenke nach Dres- den gelangt waren und im sogenannten Reißgemach auf einem Gesims der Holzvertäfelung Aufstellung gefunden hatten.7 Dazu gehörten Giambolognas Nessus raubt Deianira (Kat.-Nr. 9), der Merkur und die Schlafende Venus mit Satyr als Ge schenke des toskanischen Großherzogs Francesco I. de’ Medici (1541–1587), Giambolognas Mars (Kat.-Nr. 8)8 als Geschenk des Künstlers selbst, sowie der Marc Aurel von Filarete (Kat.-Nr. 1) als Präsent des Herzogs von Mantua, Guglielmo Gon- zaga (1538–1587). Bei diesen Kleinbronzen handelt es sich um herausragende Werke von höchster künstlerischer Qualität, um »Inkunabeln der Bronzeplastik«9, von denen heute drei Zur Geschichte der Bronzen und der barocken Bildwerke der Skulpturensammlung in Dresden
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