Leseprobe
19 Die Malerei wird hier aus dem Geist der Antike, oder genauer der antiken Skulptur neu geboren.7 Das gilt ebenso für Mengs’ Gemälde Heiliger Petrus (Abb. 8), das zudem weit mehr an Michelangelos Moses und die mächtigen Propheten- und Sibyl len-Gestalten der Sixtinischen Kapelle als an Raffael denken lässt: keine komplizierten Haltungen und Überschneidungen der Körper, wie sie der Barock so liebte. An ihre Stelle trat die mit einem Blick zu erfassende und zu verstehende Figur, sowohl bei Perseus und Andromeda als auch beim Heiligen Petrus . Beide Bilder wären ohne Mengs’ jahrzehntelange künstlerische und theoretische Auseinandersetzung mit antiker Skulptur nicht denkbar. Tagtäglich hatte Mengs seine Antikenabgüsse vor Augen, die er zu Hunderten sein Eigen nannte, ja er selbst versuchte sich an Ergänzungen, so im Fall einer Venus-Statu ette,8 und befasste sich darüber hinaus mit der archäologischen Rekonstruktion der nur in Bruchstücken überlieferten antiken Pasquino-Gruppe (Kat. 20).9 Zehn Jahre stand Mengs zudem in intensivem Austausch mit Winckelmann. So wurde er zum »Erfinder des Klassizismus«10 von europaweiter Ausstrahlung. Dabei kam der Apoll vom Belvedere als Vorbild nicht von ungefähr. Die Statue galt der Epoche des Klassizismus als die Antike schlechthin. Und sie war es wesentlich, an der Winckel mann seine Ästhetik entwickelte, die in dem häufig zitierten (und ebenso häufig verballhornten) Diktum der »edlen Einfalt und stillen Größe« gipfelte.11 Diese erstmals an der »Draperie« der drei Dresdner Vestalinnen-Figuren, der sogenannten »Her kulanerinnen«, entwickelten Eigenschaften, in denen zugleich die Abkehr vom Barock überdeutlich zutage trat, sah Winckel mann in antiken griechischen (jedoch zumeist nur in römi schen Kopien überlieferten) Statuen und insbesondere im Apoll vom Belvedere verwirklicht. Denn: »Der einzige Weg für uns, groß, ja, wenn es möglich ist, unnachahmlich zu werden, ist die Nachahmung der Alten«, meinte Winckelmann einlei tend in seiner epochalen Schrift von 1755/56 Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerey und Bild hauerkunst .12 Auf dieser Grundlage, der Orientierung an der antiken Skulptur und der theoretischen Auseinandersetzung mit ihr, sollte Mengs die Malerei revolutionieren. Perseus und Andromeda ebenso wie Heiliger Petrus sind eindrucksvolle Bei spiele dafür – provokant, absolut neu, bis dahin nicht gesehen. Allgemeine Akzeptanz erfuhren diese »Grenzgänge«, in denen Malerei auch zur Skulptur wird, erst am Ende des 18. Jahr hunderts, wie Friedrich Schlegel 1798 in den Athenäums- Fragmenten schrieb: »Malt nicht Michelangelo in gewissem Sinn wie ein Bildhauer, Raffael wie ein Architekt, Correggio wie ein Musiker?«13 Stationen eines Künstlerlebens – Dresden, Rom und Madrid Anton Raphael Mengs wurde am 12. März 1728 in Aussig (Ústí nad Labem) in Böhmen geboren. Den Geburtsort dürften die Eltern bewusst gewählt haben. Der Vater Ismael Mengs lebte seit etwa 1720 in wilder Ehe mit seiner Haushälterin Charlotte Bornmann in Dresden. Das Paar hatte bereits einen Sohn, Karl Moritz, von dem nicht viel mehr bekannt ist, als dass er sich in späteren Jahren als Sprachlehrer in Kremsmünster südlich von Linz niederließ, und eine Tochter, Therese Concordia, die ebenfalls in Aussig geboren wurde. Kurz nach der Geburt von Anton Raphael kehrte das Paar nach Dresden zurück, wo es wohl noch im selben Jahr heiratete. Ein weiterer Sohn starb 1729 bereits am Tag nach seiner Geburt. Im folgenden Jahr wurde die zweite Schwester, Julia Charlotte, geboren. Kurz darauf starb die Mutter.14 Künstler oder – genauer – Maler zu werden, scheint Anton Raphael gleich zweifach in die Wiege gelegt worden zu sein. Zum einen war sein Vater Hofmaler Augusts des Starken, und es war auch in Künstlerfamilien nicht unüblich, dass der Sohn den Beruf des Vaters ergriff. Zum anderen setzte Ismael Mengs seinen ganzen Ehrgeiz daran, aus Anton Raphael und dessen Geschwistern frühreife »Wunderkinder« zu machen, deren Ruhm naturgemäß auf den Vater zurückstrahlte. Ganz ähnlich ging der Salzburger Hofkomponist Leopold Mozart zwei Jahr zehnte später mit seinem Kindern Wolfgang und Maria Anna, genannt »Nannerl«, vor. Programm waren zudem die Vornamen Anton Raphaels, in denen die Bewunderung des Vaters für Antonio Allegri (nach seinem Geburtsort meist Correggio genannt) und Raffael zum Ausdruck kommt (wobei einschrän kend festzuhalten ist, dass die beiden berühmtesten Werke der Dresdner Gemäldegalerie, Correggios Heilige Nacht und Raf faels Sixtinische Madonna , erst 1746 bzw. 1754 nach Sachsen gelangten). Anton Raphael und seine Geschwister durchlebten eine selbst nach damaligen Gesichtspunkten harte, um nicht zu sagen erbarmungslose Erziehung durch den Vater, bei der auch die Grenzen zur Misshandlung überschritten wurden. Die Fol gen waren die Flucht des älteren Bruders aus dem Vaterhaus, Abb. 8 Anton Raphael Mengs: Heiliger Petrus , um 1775 Öl auf Leinwand, 148×114 cm Wien, Kunsthistorisches Museum, Inv.-Nr. GG 166
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