Leseprobe

49 Katalog Den überwiegenden Teil von Mengs’ Sammlung stellen Abgüsse römischer Originale nach griechischen Vorbildern dar, die ab dem 2. Jahrhundert v. Chr. aus Athen und den Nachfolgestaaten Alexanders des Großen nach Rom ver­ schleppt wurden. Die griechischen Werke waren in der Regel aus kostbarer Bronze und wurden bis auf wenige Ausnahmen in der Spätantike und im Frühmittelalter eingeschmolzen. Was blieb, waren die römischen Marmorwerke, nach denen ab dem 16. Jahrhundert in Rom und Umgebung intensiv gesucht und gegraben wurde. Die prominentesten Stücke gelangten zumeist in den Besitz der mächtigen römischen Adelsfamilien, in deren Sammlungen sie sich bis in Mengs’ Zeit befanden. Genannt seien die Borghese, Farnese und Ludovisi sowie die Medici aus Florenz, deren Beinamen zahlreiche Antiken bis heute tragen. Im 17. und 18. Jahrhundert etablierte sich dann ein blühender Antikenmarkt, der praktisch alles bot: mehr oder weniger stark ergänzte Originale, Kopien in Marmor und Bronze in unter­ schiedlicher Größe und Qualität, Nachahmungen und Fäl­ schungen, dazu Gipsabgüsse von häufig fragwürdiger Güte. Auch Mengs war auf diesen Markt angewiesen, trotz seiner guten Einkünfte und seiner hohen gesellschaftlichen Reputa­ tion als sächsisch-polnischer und später spanischer Hofmaler. Selbst ihm gelang es nicht immer, qualitativ gute, fachsprach­ lich »scharfe« Abgüsse zu erhalten. Dazu war es nötig, dass erfahrene Gipsformer die Gussformen vom Original abnah­ men und dass es sich bei dem erworbenen Guss um einen der ersten handelte, die aus der Form genommen wurden, da durch die wiederholte Verwendung der Formen Details ver­ schwanden und der Abguss »unscharf« wurde. Die Gipsgießer arbeiteten gewöhnlich mit Stückformen, die für den Guss zusammengesetzt und ummantelt wurden. Es entstanden Gussnähte (Kat. 25), die bei einer dekorativen Aufstellung zumeist abgearbeitet wurden. Gussnähte finden sich in Mengs’ Sammlung besonders an Köpfen (Abb. 81), wobei hier gele­ gentlich auch Abgüsse nach Abgüssen festzustellen sind, das heißt es wurde von einem Kopf, an dem die Gussnähte stehen gelassen wurden, erneut eine Form genommen, wobei die neuen Stückformen anders geschnitten waren als die des ersten Gusses. Die Folge war ein System von sich überlagernden Gussnähten und grundsätzlich ein Guss von minderer Quali­ tät, was Mengs jedoch nicht vom Erwerb abhielt. Mengs’ Abgusssammlung war repräsentative Schau- und praktische Lehrsammlung in einem. Sie stand Reisenden und jungen Künstlern offen, die aus ganz Europa nach Rom ström­ ten, um dort wesentliche Jahre ihrer Ausbildung zu verbringen. Ersteres galt auch für Dresden, wo Mengs’ Sammlung museal und zugleich in enzyklopädischer Breite präsentiert wurde (Abb. 2–6, 29–31). Nichts war zu unbedeutend, alles wurde gezeigt, vom Apoll vom Belvedere bis zum unscheinbaren Handabguss, von den Füßen einer unbekannten römischen Kolossalstatute (Abb. 30, Nr. 354, 355) bis zum ebenfalls weit überlebensgroßen Kopf der Juno Ludovisi (Kat. 24). Dabei war Mengs äußerst generös. Formen und Doubletten herausragen­ der Stücke hatte er der Real Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid mit dem Ziel geschenkt, die Künstler­ ausbildung in Spanien zu verbessern. Gleiches plante er mit den Abgüssen in seinem römischen Atelier. Sie wollte er der Accademia di San Luca in Rom übereignen. Doch bevor es soweit war, verstarb Mengs, wodurch die Dresdner Akademie die Gelegenheit erhielt, mehr als 800 Abgüsse aus dem Nach­ lass zu erwerben. Vieles davon ist heute verloren, vor allem die für die Künstlerausbildung bis ins 20. Jahrhundert so bedeu­ tenden Teilabgüsse von Gliedmaßen. Erhalten blieb jedoch mehr als die Hälfte, von der ein repräsentativer Querschnitt jetzt wieder in der Gemäldegalerie Alte Meister zu sehen ist und der im Folgenden vorgestellt wird. Dabei rücken immer wieder andere Aspekte in den Fokus, die erst zusammen­ genommen ein Gesamtbild der Mengs’schen Sammlung ergeben: Mythos, Fund- und Erwerbungsgeschichte ebenso wie ästhe­ tisches Urteil, Deutung und Funktion des Werks. – Sämtlich Fragen, zu denen Mengs sich immer wieder dezidiert äußerte. Hier war er ebenso kompromisslos wie in seiner Sammel­ leidenschaft, ließ sich weder durch (selbsternannte) Autori­ täten noch durch vorgefasste Lehrmeinungen beirren – und gab gleichzeitig Unsummen für seine Sammlung aus.

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