Leseprobe

51 1 Apoll vom Belvedere Gips; Höhe mit Plinthe 227 cm Original: spätes 2. Jh. n. Chr., nach einem Vorbild um 320 v. Chr.; Rom, Vatikanische Museen, Inv.-Nr. 1015 Inv.-Nr. ASN 2332 Als die berühmteste antike Statue galt im 18. Jahrhundert der Apoll vom Belvedere , Gott des Lichts und Führer der Musen. Leichtfüßig und tänzelnd, ja geradezu schwerelos scheint Apoll in der Bewegung zu verharren. Bis auf einen Umhang, den eine Fibel auf der rechten Schulter hält, ist der Gott nackt. In schweren Falten fällt der Stoff vom ausgestreckten linken Arm herunter. Quer über die Brust und über den Rücken verläuft ein Riemen, der den Köcher trägt. Wie um das Gleichgewicht zu halten, hat Apoll den rechten Arm leicht vom Körper abge­ winkelt. Denn sein Stand ist alles andere als stabil – sein linker Fuß berührt den Boden kaum. Der Kopf ist zum ausgestreck­ ten Arm gewandt. Mit seinem Blick scheint Apoll dem Pfeil zu folgen, den er gerade abgeschossen hat. Die Statue wurde Ende des 15. Jahrhunderts in der Nähe von Antium, dem heutigen Anzio, gefunden und zuerst im Palast des Kardinals Giuliano della Rovere bei San Pietro in Vincoli in Rom aufgestellt. Antium war bereits in der Antike ein beliebter Badeort. Zu den Römern, die hier ihre Villen errichteten, gehörte auch Maecenas, ein Zeitgenosse von Kaiser Augustus, der als Förderer von Dichtern, darunter Horaz, Pro­ perz und Vergil, bis heute bekannt ist. Sein Name lebt im Begriff »Mäzen« und damit in der Bezeichnung für eine Person fort, die uneigennützig Kunst oder Künstler fördert. Als Mäzen im großen Stil, jedoch keineswegs uneigennützig, son­ dern vielmehr auf den eigenen und den Ruhm seiner Familie bedacht, betätigte sich auch Giuliano della Rovere, der 1503 als Julius II. den Papstthron bestieg. Julius II. war der Vertreter des Renaissancepapsttums schlechthin. Neben der Grund­ steinlegung zum Neubau von St. Peter ließ er außerdem sein Grabmal von Michelangelo schaffen (darunter die Figur des Moses, Abb. 93) und beauftragte Raffael mit der Sixtinischen Madonna . Darüber hinaus erwarb er kurz nach deren Ent­ deckung 1506 die berühmte Laokoon-Gruppe , von der Mengs ebenfalls einen Abguss besaß, und ließ sie im Belvedere-Hof des Vatikan aufstellen, wohin um 1510 auch die Statue des Apoll gelangte. Erst jetzt, als der Apoll vom Belvedere , trat die Statue ihren Siegeszug an. Keine Antikenpublikation ohne ihn, kein Reisender, kein Bildhauer und kein Maler (Abb. 32), der nicht zum Apoll vom Belvedere und zur Laokoon-Gruppe in den Belvedere-Hof pilgerte. Maßgeblich am Apoll vom Bel­ vedere entwickelte Johann JoachimWinckelmann sein Antiken­ verständnis. Schiller, der nie in Rom war und die Statue dem­ zufolge nur aus Abgüssen kannte, sah in ihr »die reinste Har­ monie« verkörpert und schlug folgende Deutung der Figur Abb. 32 Joshua Reynolds John Stuart, 3. Earl of Bute , 1773 Öl auf Leinwand; 236,9×144,8 cm London, National Portrait Gallery, Inv.-Nr. 3938

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