Leseprobe
67 6 Zeus von Otricoli Gips; Höhe mit Sockel 87,5 cm Original: Römische Kaiserzeit, nach einem Vorbild aus dem 4. Jh. v. Chr.; Rom, Vatikanische Museen, Inv.-Nr. 257 Inv.-Nr. ASN 2892 Zeus (Jupiter) war der höchste der griechisch-römischen Götter. Nach antiker Vorstellung konnte er die Welt allein durch das Heben seiner Augenbrauen regieren. Entsprechend stellte ihn der berühmteste Bildhauer der Antike, Phidias, im 5. Jahrhundert v. Chr. thronend in seinemTempel in Olympia dar. Diese etwa zwölf Meter hohe chryselephantine (Gold-Elfenbein-)Statue galt als eines der Sieben Weltwunder des Altertums. Zu seinem eigenen Ruhm wollte Kaiser Caligula um 40 n. Chr. die Statue nach Rom schaffen lassen, was jedoch an ihrer Größe scheiterte. Der Legende nach soll Zeus nur gelacht haben, als er von Caligulas Plan erfuhr, und zerstörte die für den Transport bestimmten Schiffe der Römer. Obwohl Zeus der mächtigste der klassischen antiken Götter war – nur dem Urteil der Moiren (Parzen), den Göt tinnen des Schicksals, musste er sich beugen –, war sein Handeln häufig alles andere als von seinem Gottdasein bestimmt. Verheiratet mit der ewig eifersüchtigen Hera (Juno) (Kat. 24) pflegte Zeus zahllose Liebschaften, bei deren Anbah nung ihn der gewiefte Götterbote Hermes (Merkur) häufig unterstützte, und die in Renaissance und Barock unzählige Male dargestellt wurden. Von unschätzbarem Vorteil bei seinen Liebesabenteuern war darüber hinaus, dass Zeus sein Aussehen ändern und praktisch jede Gestalt annehmen konnte. So entführte er als Stier die phönizische Königstochter Europa und raubte als Adler den Knaben Ganymed, den er zum Mundschenk der Götter auf dem Olymp machte (Abb. 43, 45). Danae näherte er sich als Goldregen und zeugte mit ihr Per seus, der später die Medusa töten sollte. Leda schwängerte er als Schwan. Sie gebar ihm die Dioskuren (griech. »Zeus- Söhne«) Kastor und Polydeukes (Castor und Pollux) oder auch nur einen der beiden (Kat. 22). Doch seine Wandlungs- und Anpassungsfähigkeit bewies Zeus nicht nur bei seinen Lieb schaften, sondern auch in seiner religiösen Bedeutung. Mit der Ausdehnung des griechischen Einflussbereichs besonders nach den Eroberungszügen Alexanders des Großen und der Helle nisierung Ägyptens im 4. Jahrhundert v. Chr. wuchsen ihm die Eigenschaften anderer Gottheiten zu oder sie verschmolzen mit ihm. Dies geschah auch mit den meisten römischen Göt tern, die ihre Entsprechung in den griechischen fanden, sodass sich Unterschiede letztlich auf die Namen beschränkten. Weiter »kreierte« der Begründer der hellenistischen Königs dynastie in Ägypten, Ptolemaios I., den ägyptisch-griechischen Gott Serapis und lies ihn als Reichsgott verehren. Serapis oder Zeus-Serapis (Abb. 44) weist Eigenschaften sowohl von Zeus und dem griechisch-römischen Gott der Unterwelt Hades (Pluto) als auch der ägyptischen Gottheit Osiris und des Apis- Stiers auf. Die äußere Erscheinung dieses »neuen« Gottes orientierte sich jedoch allein an dem griechischen Vorbild. Gesichtszüge, der dichte Vollbart und die bis auf die Schulter Abb. 43 Rembrandt Harmensz. van Rijn Ganymed in den Fängen des Adlers , 1635 Öl auf Leinwand; 177×130 cm, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Gal.-Nr. 1558
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