Leseprobe

121 Ihre Väter waren Zeus (Jupiter) und der Gatte der Leda, König Tyndareos (Tyndareus) von Sparta, oder auch nur Zeus, der, in einen Schwan verwandelt, sich Leda näherte und sie schwängerte. So scheint die Deutung der Jünglinge als Kastor und Polydeukes plausibel, die gemeinsam an einem Altar opfern, der eine, indem er eine Fackel auf ihm ausdrückt, der andere durch eine Trankspende, die er träumerisch herab­ blickend aus einer flachen Schale gießt (sofern es sich bei der Schale nicht um einen Spiegel handelt!). Doch woher die Ver­ trautheit, die in der Körperhaltung und den zum Altar gesenk­ ten Blicken der Jünglinge zum Ausdruck kommt? – Nach dem Tod des sterblichen Kastor bat Polydeukes Zeus, ihm die 22 Ildefonso-Gruppe (Kastor und Polydeukes) Gips; Höhe mit Plinthe 160 cm Original: frühes 1. Jh. n. Chr.; Madrid, Prado, Inv.-Nr. 28-E Inv.-Nr. ASN 2379 Die Liste der Besitzer der Ildefonso-Gruppe liest sich wie ein »Who is Who« Roms des 17. Jahrhunderts. Genannt seien nur die bedeutendsten: Kardinal Ludivico Ludovisi (besaß eine der bedeutendsten Antikensammlungen seiner Zeit), Königin Christina von Schweden (Tochter König Gustavs II. Adolf von Schweden, konvertierte 1654 zum Katholizismus und ging nach Rom, sammelte ebenfalls im großen Stil) und Livio Ode­ scalchi (Neffe Papst Innozenz’ XI.). Ebenso illuster wie die Besitzer sind die Namen und Ideen, mit denen die Gruppe verbunden wurde: Kastor und Polydeukes (Castor und Pollux) , Orest und sein Gefährte Pylades (Winckelmann), die Personi­ fikationen von Schlaf und Tod Hypnos und Thanatos (Gotthold Ephraim Lessing), Abend- und Morgenstern sowie Antinoos, der an seinem Todesdämon lehnt (der Archäologe Ennio Quirino Visconti). Die Deutungen der Gruppe als Hypnos und Thana­ tos wie auch die als Abend- und Morgenstern stützen sich vor allem auf die beiden Fackeln des Jünglings rechts. Die eine löscht er auf einem kleinen, mit Blumengirlanden geschmück­ ten Altar, die andere (verlorene) trägt er über der Schulter. Viscontis Auslegung hingegen überrascht. Zwar hat der ange­ lehnt stehende Jüngling links die Gesichtszüge von Antinoos (Antinous) (Abb. 62), doch handelt es sich bei dem Kopf um eine Ergänzung aus dem 17. Jahrhundert, was Visconti als einem der angesehensten Archäologen der Jahrzehnte um 1800 kaum entgangen sein kann. Bleiben noch die beiden mytho­ logischen Gruppen, womit die Statue schräg hinter dem rech­ ten Jüngling ins Spiel kommt. Sie wird als Persephone (Pro­ serpina) gedeutet. Vom Totengott Hades (Pluto) geraubt und geheiratet, lebte Persephone die eine Hälfte des Jahres in der Unterwelt, die andere auf der Erde, womit sie wie die Fackeln Werden und Vergehen symbolisiert. Zudem wurde Persephone als Fruchtbarkeitsgöttin verehrt, worauf der Gegenstand in ihrer rechten Hand hinweist. Er wird als Granatapfel oder Ei gedeutet. Aus einem Ei wurden Kastor und Polydeukes geboren. Abb. 77 Johann Gottfried Schadow Prinzessinnengruppe , 1795 Marmor; Höhe 172 cm, mit Sockel 248 cm Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Inv.-Nr. B II 34

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