Leseprobe
16 Anton Raphael Mengs Zwischen Raffael und Antike Es waren Superlative, mit denen Anton Raphael Mengs bereits zu Lebzeiten bedacht wurde – wie etwa »Raffael unseres Jahr hunderts« (»Raphaele del nostro secolo«1), und kein Geringe rer als Johann Joachim Winckelmann setzte ihn gar mit dem mythischen Vogel Phönix gleich, der verbrennt und aus der eigenen Asche (bei Winckelmann ist es die Asche Raffaels!) neu geboren wird.2 Vereinzelte negative Stimmen, die es natür lich auch gab, fanden hingegen kaum Gehör.3 Im Gegenteil, in ganz Europa – von Dresden über Rom und Madrid bis nach Sankt Petersburg – konkurrierten Herrscher darum, Mengs an ihre Höfe zu binden, und wenn dies nicht möglich war, zumindest Gemälde von seiner Hand zu besitzen. Dies galt in besonderem Maße für Zarin Katharina II. von Russland, die Kunstwerke in bis dahin ungekanntem Ausmaß ankaufte. Katharina II., deren finanzielle Möglichkeiten als uner schöpflich galten, verfügte über ein Netzwerk bestens infor mierter Kunstagenten – allen voran Johann Friedrich Reiffen stein in Rom und Friedrich Melchior Grimm in Paris. Diese wurden reich entlohnt, unterrichteten sie stets über die neues ten Entwicklungen in den Metropolen und erwarben in ihrem Auftrag Einzelwerke oder auch ganze Kunstsammlungen. Ganz oben auf ihrer und der Wunschliste ihrer Agenten stand dabei Anton Raphael Mengs. Dennoch gelang es ihr erst spät, im Jahr 1780, dazu völlig überraschend und unter spektaku lären Umständen, ein Gemälde von seiner Hand zu erwerben – das Hauptwerk Perseus und Andromeda (Abb. 7).4 Auftrag geber des Bildes war der englische Sammler Sir WatkinWilliams- Wynn gewesen, der Perseus und Andromeda zwölf Jahre zuvor auf seiner Grand Tour in Rom bei dem Maler bestellt hatte, es aber nie zu Gesicht bekam. Der Auftrag war über einen Mit telsmann erfolgt, da Mengs zu dieser Zeit als Hofmaler des spanischen Königs in Madrid geweilt, sein römisches Atelier jedoch weiter unterhalten hatte. Mengs dürfte auch erst 1773 mit dem Gemälde begonnen haben. Er unterbrach die Arbeit in der Folge für mehrere Jahre und vollendete das Bild Ende 1777 innerhalb weniger Wochen. Wie seinerzeit üblich, stellte Mengs das fertige Bild anschlie ßend in seinem Atelier im Casino der Villa Barberini bei Sankt Peter in Rom aus, wo es von zahlreichen Würdenträgern, Künstlern und Reisenden besichtigt wurde. Papst Pius VI. wollte nicht zurückstehen und ließ Perseus und Andromeda in den Vatikan bringen, um es zu sehen. Anschließend wurde das Bild verpackt und in Livorno auf ein britisches Kriegsschiff verladen, das sein Ziel jedoch nicht erreichen sollte. Noch im Mittelmeer wurde es gekapert; das Bild gelangte in die Hände des französischen Marineministers, der es offensichtlich nicht, wie damals eigentlich üblich, seinem König Ludwig XVI. anbot, sondern wohl nicht einmal auspackte und über Grimm an Katharina II. verkaufte. Bereits die Zeitgenossen erkannten in Perseus und An dromeda eines der bedeutendsten Werke von Mengs. Der Schweizer Bildhauer Alexander Trippel bezeichnete es als »das schönste Stück, das ich von jetzt lebenden Malern gesehen habe.« Gleich viermal erwähnte Prinz August von Sachsen-Coburg-Gotha Perseus und Andromeda in seinem Tagebuch und schrieb an Johann Gottfried Herder, dass es »dem Pinsel eines Apelles rühmlich« wäre, womit neben Raffael nun auch der berühmteste, allerdings nur literarisch überlieferte Maler der Antike genannt war.5 Und tatsächlich scheint besonders in der Figur des Perseus die Antike wieder aufzuleben. Unver kennbar ist ihr Vorbild, der Apoll vom Belvedere , von dem Mengs mindestens zwei Abgüsse in Gips besaß (Abb. 23 und Kat. 1). Dennoch war Mengs weit davon entfernt, die Statue sklavisch zu kopieren. Er folgte vielmehr dem Ideal, das sie in seinen (und Winckelmanns) Augen verkörperte, behielt die Armhaltung der Statue bei, bis hin zum Mantel und dem Rest eines Bogens in der linken Hand des Gottes (der im Gemälde zum Zügel des Musenrosses Pegasus wird), vertauschte jedoch die Beinstellung – nun ist das linke, nicht mehr das rechte Bein das Standbein, auf dem das Gewicht des Körpers ruht –, und der Kopf ist hier zur rechten statt zur linken Schulter gewandt. Zu diesen eher formalen Aspekten kommt Mengs’ individueller künstlerischer Ausdruck. Die Figur hebt sich geradezu plastisch vor demHintergrund ab und gewinnt skulpturale Qualitäten.6 Abb. 7 Anton Raphael Mengs: Perseus und Andromeda , 1773–1778 Öl auf Leinwand, 227×153,5 cm, St. Petersburg, Eremitage, Inv.-Nr. 1328
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