Leseprobe

11 Wie der Dichter mit Worten malt, so schreibt der Maler sich ein ins Bild der Welt, das es vom Grunde her zu korrigieren gilt, wie Arendt, der moderne Mythenbildner, wohl ahnt: »die zum Auggrund / Helle trug / (steh auf und wandle) du hältst / die bergher schwimmende Wolke nicht.« Auch Dieter Goltzsche entflieht vor den profanen Zumutungen dieser verwalteten und bedrohlich ausrechen- baren Welt in eine Gegenwelt der Poesie. Lesend, sehend und zeigend. Dabei nach jenen magischen Sprüchen suchend, die eine Neuverzauberung des Altbekannten ermöglichen. Was er sich ausmalt, das bewohnt er dann auch – seine Bilder lassen genug Raum für Selbstimaginiertes. Buchstaben grundieren seine Bilder, darauf lässt sich bauen. So erhebt sich das einmal Gelesene tatsächlich »Ins Offene«, Wirklichkeiten entgrenzend – und sich dem irgendwo immer »zufällig« Gesehenen aussetzend. Es ist das Gegenteil von vorsätzlichem Beobachten, jener hoffnungslosen Situation des zum Immer-Gleichen verurteilten Malers, der sich ein Modell bestellt. Betrachtet man die in diesem Buch versammelten Bilder von ihrem Ende her, erstaunt man, wie viel Anfang in ihnen aufscheint! Die ersten vollgültig zumWerk zählenden Grafiken und Zeichnungen lassen sich auf Ende der 1950er Jahre datieren (signifikant für diese Periode: Die Reuse – Kietz 29, meine erste Berliner Wohnun g von 1959). So sind es nun bereits volle sechs Jahrzehnte, die Goltzsche immer wieder einen Anfang macht. Das Gesehene verschwindet dabei nie gänzlich im Abstrakten, das sich – je nach Sujet – seinen Raum erobert. In jedem seiner Bilder bleibt eine Spur des Gesehenen, manchmal nur als ein Windhauch, der die Geometrie aus dem Gleichgewicht bringt. √ Entgegen der Annahme · 1976 Feder, Rohrfeder, Tusche auf Zeichenpapier 35,9×29,8 cm Die Reuse – Kietz 29, meine erste Berliner Wohnung · 1959 Kohle auf Zeichenpapier 34×30 cm

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