Leseprobe
7 Die rettende Lücke Das Weiß kämpft sich durch das Schwarz wie das Licht durch das Dunkel. Das Schwarz scheint übermächtig, ebenso das Dunkel. Aber irgendwo ist immer ein rettender Spalt, da drängt sich ein Funke Licht durch, ein weißer Fleck entsteht – und behauptet damit eine andere Dimension. Eine Art Fluchtvision, ein Bruch mit der Zeit. Abbruch also, eine Leere, die nicht definierbar scheint. Das ist es, was die »Schwarzbilder« von Dieter Goltzsche verbindet. Ich denke dabei unwillkürlich an Rembrandts Credo »In media noctis vim suam lux exerit.« (»In der Mitte der Nacht verbreitet das Licht seine Kraft.«) In der Nacht, da wo sie am dunkelsten ist, strahlt der kleinste Lichtfunke hell wie eine Sonne. Das hat natürlich auch eine metaphysische Dimension: Einbruch von Transzendenz in die Immanenz. Bei Goltzsche aber wird das Thema spielerisch zerlegt: Der Bildteppich, der so entsteht, wird zum Möglichkeitsfeld. Bis in die Bildtitel hinein arbeitet sich dieser Schwarz-Weiß-Gegensatz vor: als eine Art Programm der Bild- und damit der Welt aufhellung. Weiß kämpft sich durch Schwarz etwa heißt eines, oder auch Schwarz dient . Doch es sind nie Schachbrettmuster gemeint. Im Schwarz und imWeiß sieht Goltzsche die verborgenen Farben. Es gibt, so wiederholt er gern, viele Arten von Weiß. Das Weiß aber bleibt, anders als das Schwarz, eine myste riöse, nie ganz aufklärbare Farbe. Es trägt einen elementaren Widerspruch in sich: Licht und Lebendigkeit symbolisierend. Aber eben auch das Gegenteil davon: den Tod, dessen Grundfarbe ebenfalls Weiß ist. Wie erklärt man das fahle Weiß der Abgestorbenheit, die lichtlosen gebleichten Knochen, die man aus der Erde holt und denen nicht mal die Erinnerung ans Leben mehr innewohnt? »Es ist ein Raum, den sie mit Milch getüncht haben«, heißt es in Georg Trakls Gedicht Psalm . Schwarz und Weiß also sind auch nur Farben unter anderen Farben, mit dem entscheidenden Unterschied, dass hier der Hell-Dunkel-Gegensatz dominiert, alles durchdringt. Wenn man den scharfen Gegensatz auflöst, dann zeigen sich Übergänge, die etwas von Seitenpfaden haben. Im Grau wohnt eine ganze labyrinthische Welt. Schwarz und Weiß sind nur deren äußere Pole. Alles dazwischen ist terra incognita, aufklärbar nur der mutigen vita experimentalis! Denn es sind die Mischungen, die darüber entscheiden, ob wir ein Grau vor uns haben, über das wir gehen können wie über vom Alltag angeschmutzten Schnee, oder eines, in das wir wie in einen Abgrund stürzen, der uns verschlingt. Das eine Grau vom anderen Grau zu unterscheiden, fordert den Intellekt von Maler wie Betrachter gleicher- maßen heraus. GUNNAR DECKER Ins Offene, ein Lichtverhaften Dieter Goltzsche zwischen Schwarz und Weiß Schwarz dient · 2017 Pinsel, Tusche auf Hahnemühle-Aquarellpapier 38×55,5 cm
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